214 Millionen Euro Steuergeld fließen Jahr für Jahr in Studien, deren Sinn sich kaum jemandem erschließt. Das Zauberwort heißt originäre Forschung. Konkret bedeutet das: Wer die richtigen Kontakte hat, bekommt das Geld.
Text: Bianca Winkler
Ein Mann fährt in seinem Auto von Kirche zu Kirche. Er betrachtet Malereien und Fresken, er macht sich Notizen. Dann fährt er weiter. Das macht er drei Jahre lang. Sein Name ist Franz Gunther. Franz Gunther ist Historiker. Er hat 9 Jahre lang studiert. Er hat brav seinen Magister und seinen Doktor gemacht und sich dann einen Job in der Wissenschaft gesucht. Diese, so weiß jeder Akademiker, sind heutzutage hart umkämpft und vielfach unsicher, denn sie sind fast immer projektbezogen und damit befristet. Man sucht sich ein Thema und forscht dazu, vorausgesetzt man findet einen Finanzier. Dieses Arbeitsarrangement hält dann eine begrenzte Zeit lang.
Finanziert wird Forschung in Österreich über Dachinstitutionen wie den FWF (Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung) durch den Bund und am Ende durch den Steuerzahler – wie in Österreich eben so gut wie alles finanziert wird. Der Steuerzahler zahlt für die Wissenschaft, weil Wissenschaft wichtig für die Gesellschaft ist, sagt die Politik. Doch so wie alle in Österreich jammert natürlich auch der FWF, dass er nicht genug Geld hat, um all die qualitativ hochwertige Forschung, die möglich wäre, finanzieren zu können. Weil der Konkurrenzdruck so groß ist, wird nur die beste und wichtigste Forschung gefördert, so wird natürlich vonseiten der Komitees argumentiert.
Zurück zu Franz Gunther. Er hatte Glück. Er ist einer von sechs Mitarbeitern, deren Projekt vom FWF genehmigt wurde. Ein renommierter Universitätsprofessor steht dem Projekt vor, man kann vermuten, dass das einiges zur Genehmigung beigetragen hat.
Historiker wie Franz Gunther müssen originäre Forschung betreiben, das heißt, sie sollten in der Regel Erkenntnisse produzieren, die es noch nicht gibt, und am Ende ihrer Projekte sollten sie etwas Innovatives geschaffen haben. So weit, so gut. Wie sieht das in der Praxis aus? Nun, wir haben schon gehört, was Franz Gunther tut – das ist seine Forschung. Das Projekt von Franz Gunther und seinen Kollegen heißt: Diskurs- und kunstgeschichtliche Untersuchung von Erdteilallegorien im Süden des Heiligen Römischen Reiches und ihre Entschließung in einer Hypermediaumgebung.
Das klingt wahnsinnig kompliziert und muss ergo ziemlich wichtig sein – doch was bedeutet es? Franz Gunther und seine Kollegen fahren durch Mitteleuropa und begutachten – zumeist in Kirchen – Darstellungen der Welt! Erdteilallegorie heißt in dem Fall nichts anderes als Atlas – also die bildliche Darstellung einer Weltvorstellung. Die Diskurs- und kunstgeschichtliche Untersuchung ist zumeist schon die Betrachtung durch den Experten selbst – wozu hat man denn 9 Jahre lang studiert. Die Hypermediaumgebung schließlich ist eine sehr interessante Wortkomposition, um auszudrücken, dass das Ergebnis des Projektes eine Internetdatenbank ist, in der Standorte auf einer Karte eingezeichnet werden und wo man sich Bilder dieser Erdteilallegorien anschauen und darüber informieren kann, wer sie wann gemalt hat. Das ist das Projekt von Franz Gunther und seinen Kollegen. Der Name Franz Gunther ist fiktiv, das Projekt ist es nicht. Für diese gehaltvolle Internetkarte hat der FWF von 2012 bis heute schlappe 338.482,71 Euro herausgerückt.
Das sind Peanuts in der Welt der Forschung. Trotzdem drängt sich die Frage nach Sinn und Nutzen auf. Im Jahr 2014 hat der FWF Projekte mit einer Gesamtsumme von 214 Millionen Euro unterstützt. Die Politik lukriert mehr Geld für die Wissenschaft, denn Wissenschaft ist Zukunft. Doch ist das noch wahr, wenn man alles Mögliche im Rahmen der „Wissenschaft“ untersucht? In der Öffentlichkeit stellen die Geisteswissenschaften es gerne so dar, als ginge ein Großteil der Forschungsgelder in die Naturwissenschaften, in die medizinische und klinische Forschung. Das Bundesministerium für Wissenschaft hat sogar einen eigenen Plan ausgearbeitet, um die so benachteiligten Geistes- und Kulturwissenschaften zu fördern.
Der Schein trügt aber. Denn knapp 340.000 Euro für eine marginale Internetdatenbank, die in keinem größeren Forschungskontext steht und somit ein geschlossenes Projekt ist, sind doch nicht wenig. Es handelt sich um ein Projekt, das – jetzt mal ganz ehrlich betrachtet – kaum jemanden interessiert, und da es in keinem größeren Forschungskontext steht auch keinen gesellschaftlichen Nutzen hat. Und doch ist es ein beispielhaftes Projekt für die Geschichtswissenschaft. Das Kleine im Kleinen und noch kleiner studieren und es in keinen größeren Zusammenhang stellen.
Geisteswissenschaften bekommen zwar weniger Fördergelder als die Naturwissenschaften, allerdings ist Sinnhaftigkeit historischer Forschung nicht immer transparent. Und dafür bekommen sie eigentlich ziemlich viel Steuergeld. Schaut man sich die Bewilligungsquoten des FWF an, so haben die historischen Projekte mit 42 Prozent neben der Mathematik eine Spitzenposition inne. Von 21 Kategorien belegen sie Platz 7 und damit den ersten Rang innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften. Niemand möchte die Bedeutung historischer Forschung infrage stellen, aber bei dem, was heutzutage Mode ist, drängt sich die Frage auf: Quo vadis, Wissenschaft?
Franz Gunther freut sich. Er fährt in seinem Auto von Kirche zu Kirche. Schaut sich Fresken an, macht sich Notizen. Dann fährt er weiter.