Teil 4: Die Jagd

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Ein Fortsetzungsroman von Andrea Fehringer & Thomas Köpf

… und deshalb fordere ich ein kompromissloses Vorgehen ohne Wenn und Aber …«

Trottel, dachte Badewitz, der sich in seinem Büro vor dem Fernsehschirm mit der flachen Hand gegen die Stirn schlug, während Alfred Gastbauer im Plenarsaal des Parlaments vor den Fernsehkameras mit der Faust auf das Rednerpult drosch. Sagenhafter Trottel, präzisierte der Vorstandsvorsitzende von BioPharm in Gedanken. Kompromissloses Vorgehen. Gegen wen? Eine Seuche? Da wird sich das Fleischfieber aber fürchten.

»… kann es nicht angehen, dass die Österreicher zum Handkuss kommen …«

Claus-Jürgen Badewitz schmatzte sich einen feuchten Kuss auf den eigenen Handrücken. Unglaublich sagenhafter Trottel, dachte er, und so was ist Gesundheitsminister. Bei einer weltweiten Epidemie unterscheidet niemand mehr zwischen den Nationalitäten. Dass man immer mit den Dümmsten zu arbeiten gezwungen ist. Er seufzte. Und ausgerechnet bei dem schießt der Eismann daneben. Wenn Schatten nicht bald auftaucht, verplappert sich der Idiot noch vor den Livekameras.

»… erklärt die Bundesregierung den festen Willen, alles in ihrer Macht steh–«

Der Minister verstummte mitten im Wort. Badewitz beugte sich über seinen Schreibtisch, und ließ sich dann wieder auf seinen Sessel fallen, während Gastbauer vom Rednerpult zurücktaumelte und dann auf den Boden sank. Fein, dachte Badewitz einen Augenblick, bevor die Panik im Plenarsaal ausbrach, auf Felix Schatten ist ja doch Verlass.

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Felix Schatten drehte das Autoradio lauter, aber es war keine Senderstörung. Die Rede des Gesundheitsministers wurde durch Schreie unterbrochen. Die Stimme eines Reporters versuchte, den Tumult zu übertönen Aber immer wieder wurde ihm offenbar das Mikrofon aus der Hand gerissen. Bis ein Kollege aus dem Studio übernahm, der die Ereignisse im Fernsehen mitverfolgen konnte. Felix Schatten war vermutlich der einzige Zuhörer, der wusste, was sich da gerade im Parlament abgespielt hatte. Er wusste nur nicht, wer den Finger am Abzug gehabt hatte.

Amelie räkelte sich auf dem Nebensitz. »Wie lange hab ich denn geschlafen?«, fragte sie, dann hörte sie das Chaos aus dem Radio. »Was ist denn da los?«

Ihr Mann drehte die Lautstärke zurück und zögerte einen Moment. Er wollte Amelie nicht noch mehr verstören, sie hatte heute schon genug Aufregung hinter sich. Aber dann entschied er sich gegen die Beruhigungstaktik. In Wahrheit konnte man das Vertrauen einer Ehefrau, die erst vor ein paar Stunden erfahren hatte, dass sie mit einem Auftragskiller verheiratet war, nicht leichter zurückgewinnen als mit einem Mord, den ein anderer erledigt hatte. »Der Gesundheitsminister ist tot«, sagte er und schenkte Amelie ein Lächeln.

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In Claus-Jürgen Badewitz’ Büro ging es zu, als wären die Aktien ums Dreifache gestiegen, und die Mannschaft wollte den Boss mit Champagner überschütten. Nur, dass es noch nichts zu feiern gab, und die Aktien erst steigen würden. Aber das wusste nur Badewitz. Alle anderen waren entsetzt über die Ermordung des Gesundheitsministers.

Wie so etwas nur passieren hatte können? Wo die Gesellschaft denn hindrifte? Wer denn ein Interesse daran hatte? Badewitz fiel es schwer, den Entrüsteten zu spielen. Passieren kann so was, weil jemand es in Auftrag gab. In diesem Fall er. Die Gesellschaft driftet dorthin, wo die Mächtigen es wollen. In diesem Fall er. Und ein Interesse daran hatte einer, der den Minister nicht mehr brauchte. In diesem Fall, tja, was sollte er sagen, auch er. In diese Verlegenheit werdet ihr Idioten nie kommen, dachte Badewitz, während er sich mannhaft bemühte, ein bisschen Verzweiflung in die salbungsvolle Stimme des Vorstandsvorsitzenden zu legen, der seinen Leuten Halt geben will.

Ich muss die Meute draußen haben, bevor Schatten anruft, dachte er und suchte im Gewusel nach seiner Sekretärin. Und vor allem, bevor Gina auftauchte. Machte keinen guten Eindruck, wenn am helllichten Tag die Kusine eines toten Ministers in sein Büro gestöckelt käme. Man konnte über Gina sagen, was man wollte, aber wie eine Kusine würde sie nie aussehen. Mit dreiundzwanzig und der Aura der Unersättlichkeit. Auf einmal ärgerte sich Badewitz über seinen bockbeinigen Auftragskiller, der sich an keine Anweisung hielt. Seine Zeitpläne waren tödlich, und nicht nur für seine Opfer.

Langsam wurde es ruhiger im Büro. Ein Mord im Parlament kann ein Pharma-Unternehmen schon eine Zeitlang am Arbeiten hindern, aber dann erinnerte einen auch der menschlichste Vorstandsvorsitzende wieder daran, wofür man hier bezahlt wurde. Einmal tief die Luft einziehen, einmal verstohlen über die Augen streichen, Badewitz beherrschte die Kunst der körpersprachlichen Manipulation. Wenn der Boss seine Pflicht tun konnte, dann konnte es jeder. Immerhin hatte er einen Freund verloren. Menschen waren ja so leicht zu führen.

Kaum waren die Mitarbeiter draußen, nestelte Badewitz sein Handy aus der Sakkotasche. »Hey Siri«, sagte er in sein iPhone, »rufe Gina.«

»Tut mir leid, ich finde Tschina nicht in deinen Kontakten«, antwortete die persönliche Assistentin.

»Trampel«, sagte Badewitz.

»Das habe ich nicht verstanden«, sagte Siri.

Badewitz scrollte selber durch seine Kontakte. Zehn Sekunden später piepste der tschechische Akzent von Gastbauers Geliebter in sein Ohr. »Weißt du schon was von Leyla?«, fragte Badewitz, »und sag mir jetzt ja nichts, was ich nicht hören will.«

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Leyla Fendi drängte sich als Letzte in den Waggon. Um diese Zeit war die Seilbahn Rigiblick voll mit Touristen und damit das unbequemste Verkehrsmittel in Zürich. Aber der Blick über die Stadt, der die Massen anzog, war genau das, was Leyla jetzt brauchte. Sie konnte sich schließlich mit Konrad nicht ins Weisse Rossli setzen. Sie versuchte einen der Haltegriffe zu erreichen, aber die Bahn ruckelte zu sehr. Egal, in dem Gedränge konnte man gar nicht umfallen. Die Lehne einer Sitzbank bohrte sich in Leylas Kreuz. Sie drehte sich zur Seite, so gut es eben ging. Die Lehne drehte sich mit ihr. Leyla erstarrte. Dann spürte sie den warmen Atem an ihrem Ohr und roch Leons Parfüm.

»Rosenheimer wird nicht kommen«, flüsterte Leon. »Es ist ihm zu heiß, soll ich dir ausrichten. Und er meinte nicht das Wetter.«

Leyla versteifte sich noch mehr. Leon wusste von Konrad Rosenheimer. Dann wusste er auch, dass er bei Euro-Sana arbeitete, der Konkurrenz von BioPharm. Dass er ihr Verbündeter war. Dass sie gemeinsam dahintergekommen waren, dass BioPharm ein Medikament entwickelt hatte, zu dem die Krankheit erst noch verbreitet werden musste. Dass Euro-Sana nur auf die Auswertung von Leylas Untersuchungen wartete, um eine Drei-Milliarden-Schweinerei aufzudecken. Deshalb hatte Leon schneller sein müssen. Deshalb hatte er die Phiole mit dem Virus aus ihrem Safe gestohlen und damit einen Flieger zum Absturz gebracht. Deshalb hatte jede einzelne Leiche die unverkennbaren Symptome des Fleischfiebers. Leyla hatte die dunklen Flecken auf der Haut im Fernsehen gesehen, auf die sich die Ärzte keinen Reim machen konnten. Wie auch. Die Diagnose Fleischfieber gab es noch gar nicht, Leon hatte die Krankheit eben erst in die Welt gesetzt. Er war nie an ihr interessiert gewesen. Immer nur an dem Virus. Leyla hatte sich den Feind ins Bett geholt.

»Du hattest Recht, mein Schatz«, sagte Leon, als hätte er ihre Gedanken erraten, »du hast wirklich kein Glück mit deinen Männern. Und das, was du da unten spürst, heißt auch nicht, dass ich mich freue, dich zu sehen. Im Film sagen sie Knarre dazu.«

In Leyla stieg der Zorn auf. Und gerade bevor die Vernunft sie zurückhalten hätte können, hielt die Bahn, die Türen in ihrem Rücken öffneten sich, sie drehte sich um, zog mit aller Kraft ein Knie hoch, rammte es Leon in die Eier und rannte. Leon krümmte sich zusammen, und die Passagiere, die Leyla für die Übeltäterin hielten, kümmerten sich um ihn. Mitleid ist eine sehr hilfreiche Erfindung.

Fortsetzung folgt »»

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