Seinen Worten lässt der Tiroler Rebell nun Taten folgen. Jürgen aus der Familie Rietzler aus Fiss geht in der Hotellerie völlig neue Wege. Rechnungen und Mahnungen waren gestern. Im OdeL bezahlt der Gast nur dann, wenn er möchte. Wenn nicht, muss er sich das mit seinem Gewissen ausmachen, nicht mit Anwälten.
Text: Martina Bauer
"Das ist mein Beitrag zum zivilen Ungehorsam", sagt der Hotelier. Das ist mal eine Ansage. Und so erklärt Jürgen aus der Familie Rietzler seinen Gästen auch, dass sie statt einer Rechnung nur eine Information bekommen. alles roger?-Lesern ist er als Tiroler Rebell bereits bekannt.
Für einen Urlaubsaufenthalt nach freiem Willen und Gewissen bezahlen. So was haben wohl nur jene erlebt, die in dieser Sommersaison im Montana geurlaubt haben. Die Vorgangsweise ist ebenso unüblich wie der Chef des Hauses.
Gegenüber alles roger? hat der Hotelier im Mai bereits angekündigt, ganz neue Wege zu beschreiten. Was der Tiroler verspricht, das hält er auch. "Bei uns darf und soll der Gast Mensch sein. Mit allem, was dazugehört. Vor allem aber mit Eigenverantwortung und im Bewusstsein dessen, was er tut oder auch nicht", sagt Jürgen.
"Und wenn ich nicht bezahle, hetzt du mir deine Anwälte auf den Hals?", fragte ein Gast provokant und wedelte dem Tiroler Rebellen mit der Information vor der Nase rum. "Nein, das tu ich nicht. Wenn du nicht bezahlst, musst du dir das mit dir selbst ausmachen", antwortete der Herr des Hauses. Für ihn hat das Gewissen noch einen Stellenwert.
Der Kontostand gibt dieser Einstellung recht. "Bis auf eine Familie, die sich diesen Urlaub offenbar wirklich nicht leisten konnte, haben alle Gäste einbezahlt", sagt der Mann, der seine innere Haltung auch lebt. Während der Sommersaison wurden auf dieser Information noch die zehn und 13 Prozent Steuer auf Essen und Getränke ausgewiesen. "Das wird künftig nicht mehr der Fall sein", prophezeit Jürgen. Die 20-prozentige Mehrwertsteuer ist darauf ohnehin nicht mehr zu finden (siehe Faksimile). Der Gastgeber kassiert von seinen Gästen keine Mehrwertsteuer und holt sich demzufolge auch keine Umsatzsteuer zurück.
Er will einfach nicht mehr nach den Spielregeln des Staates spielen. Er will nicht ausbeuten und nicht ausgebeutet werden. Er will einfach nur so arbeiten, wie er es möchte. Wie es für seine Familie, die Mitarbeiter und vor allem für die Gäste am besten ist. Den Behörden passt das natürlich gar nicht. Sie haben nach Gründen gesucht, dem Tiroler den Gewerbeschein wegzunehmen, und nach ihrem Dafürhalten auch gefunden. Ein diesbezügliches Schreiben, wo damit gedroht wird, hat der Hotelier schon erhalten. Was für andere eine Katastrophe wäre, nützt Jürgen zu seinem Vorteil. Damit ist er dem erklärten Ziel wieder einen Schritt näher.
Aus dem Gewerbebetrieb Hotel Montana soll nämlich ein OdeL mit anderer Betriebsform werden. OdeL steht für Ort der energetischen Liebe. Die schöne Landschaft und die Skipisten rund ums Haus sind zwar fein, aber auch die inneren Werte sollen künftig im Mittelpunkt stehen. Damit ist nicht das Interieur gemeint, sondern das Angebot. "Es wird eine Bewusstseinsschule, Bewusstseinsseminare und bewusste Ernährung geben. Ich wünsche mir, dass das Menschsein wieder in den Vordergrund rückt", sagt Jürgen.
Montana - Mensch sein ...
So steht es ohnehin seit vier Jahren auf seinen Prospekten. Jetzt hat sich dieser Slogan manifestiert und wird bewusst umgesetzt. Darum verzichtet der Hausherr auf jegliche Hierarchie oder Standesdünkel. Es ist ihm egal, ob einer arbeitslos ist oder mehrere Titel hat. Ob Chef oder Zimmermädchen - im OdeL sind alle gleich.
Mitarbeiter von Tourismusbetrieben sind oft stressgeplagt und hören meist Anweisungen wie "schneller" oder "mehr". Im Montana gibt's eine ganz andere Order. Wenn ein Mitarbeiter das Gefühl hat, dass er gestresst ist, muss er augenblicklich stehen bleiben und darüber nachdenken, warum er sich gestresst fühlt. Ansonsten wird nichts befohlen, weil ohnehin jeder weiß, was er zu tun hat. Alle sind in die Erstellung der Arbeitspläne eingebunden. Gearbeitet wird zum Wohle aller. Das heißt, auch zum Wohl jener, die diese Arbeiten ausführen.
Dass sich das auf die Gäste überträgt, ist für Jürgen ganz normal. Diese Haltung verströmt eine Energie, und die ist spürbar. Vor allem die Gäste, die zum ersten Mal im Haus waren, fragten, warum sie hier so besonders gut schlafen und bemerkten, dass das Haus einfach so ruhig und frei von Hektik ist. Wesentliche Faktoren für einen erholsamen Urlaub. Ein Wert, den der Gast zu schätzen weiß, denn für den Winter ist man schon wieder sehr gut gebucht.
Es geht also auch anders. Einzig das Restaurant für die Gäste von der Straße wird es in der Form nicht mehr geben. "Das lohnt sich aufgrund der hohen Auflagen einfach nicht mehr", sagt der Hausherr, der deswegen den Mitarbeiterstand von elf auf sieben reduzieren musste.
Während andere unter den immer strengeren Vorgaben in der Tourismusbranche stöhnen und jammern, hat sich der Rebell auf einen Weg gemacht. Auf einen ungewöhnlichen Weg, wo der Staat Zweiter ist.