Der ORF ist eine der mächtigsten Stellen im Land. Dennoch hat das Volk bei der Wahl des Generalintendanten nichts zu melden. Warum? Weil Österreich eine de-jure- und eine de-facto-Verfassung hat. De jure, nach niedergeschriebenem und gültigem Gesetz, ist Österreich eine parlamentarische Präsidentschaftsrepublik. De facto, also in Wirklichkeit, haben wir eine Kammerdiktatur.
Text:
Text: Karl Wiener
Der ORF ist eine Stiftung öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit. Der ORF hat den Auftrag, die Grundsätze der Österreichischen Verfassung zu gewährleisten. Das heißt, nach den Grundsätzen der Gleichbehandlung, Objektivität und Meinungsfreiheit zu arbeiten. Alles im ORF-Gesetz ist darauf ausgerichtet, korrekt niedergeschrieben und dokumentiert. Die Organe des ORF und deren Aufgaben sind klar geregelt. Da gibt es absolut nichts auszusetzen.
Doch wer veranlasst, worüber berichtet wird? Wer steuert diese Meinungsbildung? Wer sucht die handelnden Personen aus? Nach dem Gesetz die unabhängigen Organe des ORF. Und in der Praxis? Die Parteisekretariate und deren undurchsichtige Verflechtungen in den Kammern mit Zwangsmitgliedschaft und staatlich kontrollierter Wirtschaft. Dort werden Personen ausgesucht, die einen kennen, die einen kennen, die einen kennen ...
Eine Hand wäscht die andere
Einmal die richtige Person an die richtige Stelle gebracht, bringt Einfluss auf Redaktion und Thema. Mit Vorauswahl auf Themen, über die berichtet und nicht berichtet wird. Und wenn berichtet wird, vor allem wie berichtet wird. Wenn dann noch Verlass auf den Kandidaten ist, winken Vorteile ohne Ende. Das wird mit linienkonformer Berichterstattung wieder zurückgegeben. Oder "eine Hand wäscht die andere", wie die alten Römer schon wussten, und "beide Hände das Gesicht", wie eine Plaudertasche aus der Riege der Günstlinge so schön formuliert. Mit einem "sauberen Gesicht" hat man zumindest die Qualifikation, zu Ämtern mit echter Macht aufzusteigen. Mit der Macht wird Einfluss auf die Bestellung der unabhängigen Berichterstatter ausgeübt, die wieder linienkonform berichten über Personen, die wieder ... Na ja, wenn's läuft, dann läuft's.
Übrigens hat Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in seiner Rücktrittsrede angeregt, über ein Volksbegehren nachzudenken, das die unabhängige Berichterstattung des ORF zum Thema hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass er diese Idee auch nur einmal während seiner Amtszeit von sich gegeben hat.
ORF-Chef wäre Publikum verpflichtet
Wer will denn da noch objektiv berichten, wenn das System wie geölt funktioniert? Wer gut schmiert, fährt gut, weiß schon der Volksmund: Ich helfe Dir, du hilfst mir und beide meucheln wir alles, was uns schaden kann. Und was hat das alles mit der Publikumswahl des Generalintendanten zu tun? Alles, einfach alles! Das kommt nie! Der vom Publikum frei gewählte Generalintendant wäre dem Publikum verpflichtet. Müsste unabhängig und nach dem ORF-Gesetz handeln. Und wer mit unbeschränktem Einfluss in dieser Republik will das schon? Man könnte dann auch die Zwangsgebühren abschaffen wollen, aber wer will das schon? Außer die Gebührenzahler, die das Programm schon nicht mehr aushalten können. Auch wenn Sie das Programm nie schauen, aber schauen könnten, müssen sie zahlen! Sie zahlen, die anderen bestimmen. Alle Menschen sind gleich, nur manche gleicher. Das ist Realverfassung!