Auch wenn es die Roten gar nicht gerne hören: So gut wie alle Vorkämpfer der Sozialdemokratie wollten einen Anschluss Österreichs an Deutschland. Von Karl Renner über Victor Adler bis Otto Bauer.
Text: Helmut Neuhold
Er war sowohl Gründervater der Ersten als auch der Zweiten Republik - ein Unikum der Weltgeschichte. Der Abschnitt der Wiener Ringstraße, der beim Parlament vorbeiführt, ist nach ihm benannt und er war auch erster Bundespräsident der Zweiten Republik: Karl Renner. Und: Er war ein fanatischer Deutschnationaler.
Vor einigen Jahren wurde Renner von zeitgeistigen Historikern plötzlich als "deutschnationaler Antisemit" wiederentdeckt. Grund genug, gleich einmal die Forderung in den Raum zu stellen, einen Teil der Ringstraße umzubenennen, so wie man zuvor mit dem Andenken des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger verfahren war.
Nun ist aber unser heutiger Staat und vor allem auch die SPÖ - die früher ja SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) hieß - ohne Renner so gar nicht denkbar. Immerhin ist ja auch das "Dr.-Karl-Renner-Institut" die politische Kaderschmiede der Sozialdemokratie, und Renners Villa in Gloggnitz genießt fast kultische Verehrung. Doch hat eben dieser Renner einiges getan und von sich gegeben, was heute bei allen guten linken Menschen heftiges moralisches Erbrechen hervorrufen müsste. So bezeichnete er den Prälaten und schwarzen Bundeskanzler Ignaz Seipel als "Judenliberalen in der Soutane". Die Christlichsozialen als Vorläufer des Austrofaschismus und der heutigen ÖVP, waren für ihn "Vorkämpfer des jüdischen internationalen Großkapitals". Kapitalismus, Banken und Wirtschaftsliberale waren für Renner immer "jüdisch". Damit unterschied er sich in keiner Weise von der Ideologie der NSDAP.
Aus deutschnationalem Umfeld
Deutschnational war der 1870 in Untertannowitz geborene "Deutsch-Südmährer" Renner schon aufgrund seiner Herkunft. Die ausgehende Habsburger-Monarchie, in der er aufwuchs und seine ersten politischen Gehversuche machte, war geprägt vom Nationalitätenkampf, der immer brutalere Formen annahm. In der neu entstandenen Sozialdemokratie war Renner auch mit seinem deutschnationalen Engagement in der Gesellschaft von Gleichgesinnten. Entstammte doch selbst der jüdische Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, Victor Adler, einem vorerst deutschnationalen Umfeld rund um Georg Ritter von Schönerer. Adler, der später Karl Renner förderte, gründete schließlich, auch wegen des zunehmenden Antisemitismus unter den Deutschnationalen, die "Sozialdemokratische Arbeiterpartei - SDAP", der sich Renner in jungen Jahren anschloss. Renner machte Karriere und etablierte sich als profunder Ideologe und Politiker am rechten Rand der neuen Sozialdemokratie. Als solcher wurde er am Beginn der Ersten Republik zu einer der wichtigsten Persönlichkeiten im politischen Spektrum, ehe er dem aggressiveren politischen Hardliner Otto Bauer weichen musste. Renners letzte bedeutende politische Handlung in der Ersten Republik war schließlich seine problematische Rolle bei der "Selbstausschaltung des Parlaments" am 4. März 1933. Danach war es mit seiner politischen Karriere für lange Zeit vorbei.
Renner für Anschluss
So war es vielleicht kein Wunder, dass sich der während des Austrofaschismus politisch kaltgestellte Renner nach dem Anschluss den Nazis anbiederte. Stand er diesen doch ideologisch gar nicht so fern und erhoffte sich wohl sogar Ämter und Würden. Ziemlich ohne wirklichen Druck und in erster Linie aus echter Überzeugung verkündete er einen Ja-Aufruf zur "Anschluss-Volksabstimmung": "Ich müsste meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutsch-österreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte." Er bot den neuen Machthabern sogar an, aktiv in die Werbung dafür einzugreifen, was den Nazis aber nicht ganz geheuer war. Renner konnte sich jedenfalls Zeit seines Lebens nicht von seiner deutschnationalen und auch antisemitischen Prägung lösen.
Trotz allem hat Karl Renner diesen Staat gegründet, in dem wir heute leben, auch wenn er dafür den kommunistischen Massenmörder Stalin hofieren musste. Dieser ermöglichte ihm im Frühjahr 1945 völlig überraschend ein politisches Comeback als erneuter Gründer der Republik.
Erste Republik "Deutschösterreich"
Überhaupt war schon die Gründung der Ersten Republik nach Ende des Ersten Weltkriegs, der sogenannten "Republik Deutschösterreich", eine durch und durch deutschnationale Angelegenheit. Immerhin hieß der Mann, der am 12. November 1918 von der Rampe des Parlaments die Erste Repu-blik ausrief, Franz Dinghofer, seines Zeiches "amtierender Präsident der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich". Dinghofer war deutschnational bis ins Mark und Gründer der "Großdeutschen Volkspartei". Ihm zur Seite stand der Sozialist Karl Seitz, der ähnlich deutschnational dachte. Am 12. November wurde mit nur zwei Gegenstimmen ein Gesetz über die "Staats- und Regierungsform" beschlossen, dessen zweiter Artikel lautete: "Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik."
Besonders in deutschnationaler Rhetorik und Argumentation taten sich neben den Großdeutschen, von denen man es ja erwarten musste, immer die Sozialdemokraten hervor. Otto Bauer, der führende Theoretiker der Sozialdemokraten, war in seiner deutschnationalen Anschluss-Gesinnung auf einer Linie mit Karl Renner, auch wenn er sonst einen viel marxistischeren Kurs verfolgte. Er wurde als der "denkmächtigste Apostel des Deutschland-Glaubens" bezeichnet. Durch das Anschlussverbot und das Verbot des Staatsnamens "Deutschösterreich" durch den unseligen Vertrag von Saint-Germain brach für den jüdischen deutschnationalen Otto Bauer eine Welt zusammen. Hatte er doch bereits am 1. November 1918 verkündet: "Vom nationalen Standpunkt als Deutsche und vom internationalen Standpunkt als Sozialdemokraten muss man den Anschluss an Deutschland verlangen." In der Folge führte er dann auch geheime Anschlussverhandlungen mit Politikern der Weimarer Republik. Bauer blieb übrigens Anschlussbefürworter bis 1933 und es war nur die Machtergreifung Hitlers, die ihn als Juden vorsichtig davon abrücken ließ.
Auch Kreisky mit Deutschnationalen
Deutschnationales Gedankengut zog sich auch weiterhin durch die Kader der Sozialdemokraten und viele von ihnen konnten später ganz gut mit den Nazis. Man war ja bei Weitem nicht so weit voneinander entfernt, wie man uns das heute suggerieren möchte. Man denke nur an das merkwürdige Naheverhältnis des - jüdischen - Sozialdemokraten Bruno Kreisky zu ehemaligen Nazis, die ihm zumindest in der Person Friedrich Peters sogar den Zugang zur Macht im Staate ermöglichten.
Die SPÖ heute
Die heutige SPÖ hat natürlich große Probleme mit ihrer diesbezüglichen Geschichte. Wollte man sich doch später als Vorkämpfer einer "Österreichischen Nation" etablieren, die das politische Ausnahmetalent Jörg Haider einmal als "Ideologische Missgeburt" bezeichnete. Jetzt in Zeiten des machtpolitisch und ideologischen Niedergangs der einst so großen Sozialdemokratie hat man aber wohl von Seiten der Genossen auch zunehmend andere Probleme, als sich allzu sehr damit auseinanderzusetzen.