Sonne ist Leben. Wenn sie scheint und es warm ist, geht es uns gut. Könnte es sein, dass die Sonne doch gesund ist? Ja, sagt uns der Menschenverstand. Und nun immer öfter auch die Wissenschaft.
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Text: Klaus Faißner
Endlich wieder die Sonne genießen. Endlich wieder die warmen Strahlen auf der Haut spüren. Wie sie uns sanft streicheln, wie wohlig sich das anfühlt. Doch halt! Haben uns Hautärzte nicht jahrzehntelang eingebläut, dass wir die Mittagssonne meiden, uns ständig eincremen und nur verhüllt ins Freie sollen? Weil die Sonne angeblich eine große Gefahr ist?
Diese Thesen haben sich aber als Panikmache erwiesen, wie immer mehr Ärzte und andere Experten ans Licht bringen. Die Folge sei "eine Mangelversorgung epidemischen Ausmaßes", erklärt etwa der Münchner Ernährungswissenschafter Nicolai Worm in seinem neu aufgelegten Buch über Sonne und Vitamin D. Mit Hilfe der Sonne produziert unsere Haut Vitamin D, das eigentlich ein Hormon ist. Und was für eines: "Es schützt das Herz und die Gefäße, verhindert und bekämpft die Krebsentstehung, hilft uns gegen Diabetes, Infektions- und Autoimmunkrankheiten, Hirn- und Muskelschwund zu schützen. Kurz: Es ist ein Schlüssel für unsere Gesundheit", so Worm.
Vitamin D ist unter anderem an Prozessen des Knochenaufbaus, der Zellteilung und des Zellwachstums beteiligt und stimuliert das Immunsystem. Den größten Teil nehmen wir über die Sonne, nur einen kleinen Teil über die Nahrung auf.
Die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung hat einen gravierenden Mangel, wie der letzte Österreichische Ernährungsbericht aus dem Jahr 2012 zeigte: Mehr als 40 Prozent der Erwachsenen, rund 60 Prozent der Kinder und zwei Drittel der Senioren weisen einen meist starken Vitamin-D-Mangel auf. Neuere Daten gibt es nicht. Für den Mediziner Raimund von Helden aus Lennestadt in Nordrhein-Westfalen ist der Vitamin-D-Mangel "der häufigste krankhafte Laborwert in Deutschland". Ähnliches dürfte auch für Österreich gelten.
"Sonne in Maßen sehr gesund"
"Die Daten legen klar, dass Vitamin-D-Mangel beim Großteil der Bevölkerung ein gravierendes Problem ist", erklärt auch Jörg Reichrath. Der stellvertretende Direktor der Uniklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie im Saarland begann vor zehn Jahren als einer der ersten Hautärzte, die Sonne zu verteidigen statt zu verteufeln. "Wie überall geht es auch hier um die Dosis: In Maßen ist die Sonne sehr gesund, im Übermaß schädlich", erklärt er.
Auch sei das Dogma, nicht in die Mittagssonne zu gehen, überholt: "Berufstätige haben unter der Woche oft nur die Möglichkeit, in der Mittagspause in die Sonne zu gehen", so Reichrath. Und sie sollten das auch ungeschützt tun, damit die Haut Vitamin D bilden kann. Seine Kollegen protestierten heftig und seine Aussagen wurden "sehr kontrovers diskutiert", wie er erklärt. Doch inzwischen bestätigten unzählige wissenschaftliche Papiere Reichraths Aussagen: Menschen, die häufig in die Sonne gehen, sind gesünder und leben länger.
Vorsicht: Tagescremen mit Sonnenschutz
Eine 2016 im Journal of Internal Medicine veröffentlichte Studie mit fast 30.000 schwedischen Frauen zeigte, dass Sonnenanbeterinnen im Schnitt länger leben und generell seltener unter schweren Krankheiten leiden als Sonnenmuffel. Die Vorteile der Sonne überwogen die Nachteile eines erhöhten Hautkrebsrisikos bei Weitem, lautete eine Aussage. "Nichtraucher, die Sonneneinstrahlung vermieden, hatten eine ähnliche Lebenserwartung wie Raucher, die sich am intensivsten der Sonne aussetzten", hieß es weiter.
Die Sonne ist nicht böse. Ganz im Gegenteil: Ohne sie gäbe es kein Leben. Sie ist gut und tut gut. Das spüren wir und das bestätigt nun auch die Wissenschaft. "Wir haben von der Kosmetikindustrie eine Gehirnwäsche erhalten", sagt Ernährungswissenschafter Nicolai Worm.
Denn Sonnenschutzmittel und auch Tagescremen - die meisten werden mit Lichtschutzfaktoren verkauft - vermindern oder verhindern die Bildung von Vitamin D. "Sonnenschutzmittel sind außerdem Ansammlungen von Chemikalien, die vom Körper resorbiert werden und deren langfristige Wirkung auf den Körper wir nicht abschätzen können. Enthaltene Nanopartikel sind besonders schlimm. Aus meiner Sicht ist das ein Irrsinn", so Worm.
Täglich, aber "mit Hirn" in die Sonne
Seine Empfehlung: Gerade jetzt ab April - wenn die Sonne wieder genügend Intensität hat, um Vitamin D zu bilden - viel, ungeschützt und "mit eingeschaltetem Hirn" in die Sonne zu gehen. "Wenn man die Haut vorsichtig, mit möglichst täglich steigender Dosis langsam an die Sonne gewöhnt, baut sie selbst den besten natürlichen Schutz auf. Besonders wichtig sei es, einen Sonnenbrand zu vermeiden und deshalb immer rechtzeitig in den Schatten zu gehen. Denn: "Schatten ist der beste Sonnenschutz." Er habe schon seit 20 Jahren keine Sonnenschutzmittel mehr verwendet, erklärt der Ernährungsexperte. Frühjahr und Sommer können also kommen - hoffentlich mit vielen ungetrübten Sonnentagen.