Baustellen-Absperrungen und kein Arbeiter in Sicht. Ein Phänomen, das im gesamten österreichischen Straßennetz zu finden ist. Ob in der Stadt, am Land oder auf der Autobahn. Gerade im Sommer gibts deswegen Ärger und Staus. Davon hat selbst ein ASFINAG-Mitarbeiter die Nase gestrichen voll. Er schrieb alles roger? einen Brief der Empörung und erhebt schwere Vorwürfe ? unter anderem, dass unbemannte Baustellen System haben und dafür Schmiergelder fließen.
Text: Martina Bauer
Wer kennt es nicht, das Hütchenspiel auf den heimischen Straßen. Veränderte Straßenführungen ohne ersichtlichen Grund. Im schlimmsten Fall zuckelt man mit dem Auto rund zehn Kilometer lang in der 80er-Section-Control eines Baustellenbereiches dahin, auf dem wochenlang nicht ein Arbeiter oder ein aufgerissenes Straßenstück zu erspähen ist. Irgendwann wird dann doch gearbeitet, auf den ersten 100 Metern der Baustelle. Und wieder Wochen später finden sich dann am Ende des Bereichs verwaiste, aufgerissene Straßenstücke. Aktuell war dieses Szenario auf der A2 bei Wiener Neustadt zu beobachten. Die 60er-Section-Control auf der Südosttangente gibt's seit einer gefühlten Ewigkeit.
Autofahrer haben den Eindruck, dass auf den heimischen Baustellen irgendwie nichts weitergeht. Sie fragen sich, wer die Baustellen eigentlich plant und ob dahinter überhaupt ein Plan stecken kann und wenn ja, welcher. Viele vermuten die Absicht, so viele Autofahrer wie nur möglich zu verärgern oder sie in der Section-Control abzuzocken, zumal die meisten schneller als erlaubt fahren, weil die meisten Lenker keinen Grund sehen, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten.
ASFINAG-Mitarbeiter klagt an
Ein Mitarbeiter der ASFINAG, die für Autobahnen zuständig ist, kann den Ärger der Autofahrer verstehen. Noch viel mehr als unbemannte Baustellen sind ihm aber die Machenschaften im Hintergrund ein Dorn im Auge. In einem Brief an alles roger? machte er diesem Ärger Luft. Er weiß genau, wie der Hase läuft und hat es einfach satt, wie mit den Baustellen nicht nur die Autofahrer, sondern alle Steuerzahler abgezockt werden. Seine Zeilen bringen Licht ins Dunkel der undurchsichtigen Baustellen-Philosophie und beleuchten damit einen riesigen Skandal.
Der Brief im O-Ton liest sich so:
Hier die Gründe, die uns immer angegeben werden, warum wir so viele leere Baustellen haben:
> Aushärtende Fahrbahn - ist ein Blödsinn, das dauert im längsten Fall nur einen ganzen Tag. Hier wird oft über eine Woche ausgehärtet.
> Witterungsabhängig - stimmt nur bedingt, vor allem im Sommer.
> Beruhigungsstrecken - muss es geben, ja, aber nicht in dem Ausmaß. Hier wird für einen tatsächlichen Arbeitsbereich von nur 50 Metern eine Baustelle über einen Kilometer gemacht.
> Nachtarbeit - stimmt bei uns fast überhaupt nicht, und das hätte ja nur einen Sinn, wenn am Tag wieder alle Verkehrsspuren zum Einsatz kämen.
So könnte ich ewig aufzählen, aber hier sind die Fakten:
> Wir bekommen für jeden Baustellenmeter Geld, und das pro Tag, und werden angewiesen, diese so lange wie möglich in Betrieb zu halten.
> Wir hätten auch nicht die personellen Möglichkeiten, diese Baustellen zu bespielen, selbst, wenn wir (mit wir sind die Firmen, die die ASFINAG beauftragt gemeint, Anm. d. Red.) 500 Arbeiter aufnehmen würden.
>Es kommen Anweisungen von ganz oben, die uns vorgeben, dass ein Großteil der Baustellen zur gleichen Zeit oder mit minimalen Abständen zu eröffnen sind, und das jedes Jahr aufs Neue.
> Von der österreichischen Politik wird verhindert, dass es Zeitvorgaben für diverse Baustellen oder Abschnitte gibt. Hier wird gerade in den Bundesländern geschmiert und gepackelt, als ob es kein Morgen gäbe.
> In Deutschland gibt es nicht nur Zeitvorgaben, sondern auch Meldestellen für leere Baustellen. Da werden dann auch empfindliche Strafen verhängt, damit die Leute weniger im Stau stehen müssen. Auch das wurde bei uns verhindert.
> Die Straßenbaufirmen, die in den vergangenen Jahrzehnten in diverse Skandale verwickelt waren (schlechtes Material, Pfusch und ähnliches) sind komischerweise immer noch die häufigsten Gewinner dieser Vergaben und Ausschreibungen.
Ich hoffe, Sie können damit etwas anfangen. Hier sollte einmal etwas an die Öffentlichkeit dringen.
Verkehrsminister nicht zuständig?
Das ist starker Tobak. alles roger? konfrontierte damit sowohl ASFINAG als auch das Verkehrsministerium unter Jörg Leichtfried. Immerhin werden in dem Schreiben auch massive Vorwürfe gegen die Politik erhoben. Dafür sieht sich der Verkehrsminister aber offenbar nicht zuständig. Zunächst kam der lapidare Satz, dass die ASFINAG die Baustellenvergabe über habe. Als wäre das ein Novum. Nach dem Hinweis, dass das nicht die Frage war, kam von der Pressestelle folgende Antwort: Nach Rücksprache mit der ASFINAG ergeben sich für das Verkehrsministerium keine Anhaltspunkte für diese Vorwürfe. Die detaillierte Information der ASFINAG zu den einzelnen Punkten liegt Ihnen vor. Wir hoffen, dass wir behilflich sein konnten. Wenn Sie noch Fragen haben, stehen wir gerne zur Verfügung.
So einfach ist das, sich mit einem Dreizeiler aus der Affäre zu ziehen... Keine Spur von politischer Verantwortung. Nicht die Idee einer Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Wir nehmen die Ignoranz zur Kenntnis.
ASFINAG im Verteidigungsmodus
Etwas konkreter nahm man sich der Sache bei der ASFINAG selbst an. Der Tenor: stimmt alles nicht. Würde man es nicht besser wissen, könnte man meinen, dass dieser Mitarbeiter bei einer anderen Firma beschäftigt sei. Ist er aber nicht. Noch dazu hat er Einblick. So wie vielleicht auch der Pressesprecher. Nur die Blickwinkel unseres Informanten und die des Pressesprechers Christoph Pollinger scheinen recht unterschiedlich zu sein.
Die Antworten auf die Vorwürfe, mit denen er von alles roger? konfrontiert wurde, hier auszugsweise:
> Grundsätzlich ist genau das Gegenteil dieser gesammelten "Vorwürfe" der Fall. Ein ganz wichtiges Ziel der ASFINAG ist es, die Dauer von Baustellen kurz und damit einhergehende Behinderungen möglichst gering zu halten. Wir setzen dafür schon bei Ausschreibungen bzw. Vergaben der Arbeiten entsprechende - auch finanzielle - Anreize für Bauunternehmen.
> Absurd. Warum sollte der Bauherr ASFINAG Geld erhalten?
> Auch die ASFINAG steht den Kundinnen und Kunden über ihr Service Center, die Projektleiter oder Baustellen-Ombudspersonen immer für Fragen, Anregungen und Beschwerden zur Verfügung.
Unseren Informanten kosteten die Antworten - wenngleich sie genau so zu erwarten waren - einen Lacher. So erklärte er uns zum Beispiel, dass es sehr wohl Geld aus den Bundesländern und Kommunen auch für die ASFINAG gäbe und dass es dafür sogar einen Aufteilungsschlüssel gibt. Also fragten wir bei Herrn Pollinger abermals nach, mit dem Zauberwort Aufteilungsschlüssel. Es könne vorkommen, "dass sich ASFINAG und Länder oder Gemeinden vertraglich vorab auf einen Schlüssel einigen, wer welchen Anteil der Baukosten trägt", erklärte Pollinger nun.
Auf Nachhaken zu den in Skandale verwickelten und angeklagten Firmen kam die Antwort: "Bei unseren Ausschreibungen kommen verschiedenste Firmen nach dem Bestbieterprinzip zum Zug. (Ich weiß nicht, welche "Skandale" und "Angeklagte" Ihr Informant konkret meint)."
Unser Informant jedenfalls meinte Firmen wie STRABAG (Haselsteiner) und Porr. Wer dazu kein Wissen hat, dem würde diesbezüglich sogar Google weiterhelfen. Der ASFINAG-Mitarbeiter schüttelt nur noch den Kopf. "Klar gibt's bei uns auch ein Service-Telefon, aber das ist mit dem in Deutschland überhaupt nicht zu vergleichen. In Deutschland wird das geprüft und da gibt es auch Strafen. Bei uns wird die Beschwerde im besten Fall aufgenommen. Dann ist aber auch schon Endstation", ärgert er sich über die Ausrede.
Antworten sind ein Hohn
Die Antworten des Pressesprechers sind für ihn ein Hohn. Aber dessen Aufgabe ist es natürlich, das Unternehmen zu verteidigen. Jeder Leser darf sich hierzu selbst ein Bild machen. Apropos Bild: Die eigentliche Baustellenkarte zu Österreich hat der ÖAMTC nicht in Druckqualität - sie ist auf der Internetseite des Autofahrerclubs nachzusehen (https://tinyurl.com/yajnah4c).
Mit Stand 14. Juli waren laut ÖAMTC auf österreichischen Straßen insgesamt 251 Baustellen eingerichtet. Davon 28 auf Autobahnen, 68 auf Bundesstraßen, 155 auf sonstigen Straßen. Eine dieser sonstigen ist eine Baustelle wegen der Anhebung einer Brücke, die zwischen Mürzsteg und Neuberg an der Mürz über die Mürz in der Obersteiermark führt. Seit über einem Jahr wird an diesen paar Metern nun gearbeitet oder auch nicht. Über Monate hinweg war die Baustelle nach dem Winter trotz warmer Temperaturen nämlich verwaist. Wieso? Das konnte die Presseverantwortliche der dafür zuständigen Bauunternehmung Granit GesmbH aus Graz auf Anfrage von alles roger? eine Woche lang leider nicht in Erfahrung bringen. Auch wenn diese Landstraße nicht in die Zuständigkeit der ASFINAG fällt, so spricht sie doch Bände über die offensichtlichen Gepflogenheiten in der Branche.