Maria, hilf!

Foto: APA
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Die neu gestaltete Mariahilfer Straße feiert im Sommer ihren zweiten Geburtstag. Hier kann man in aller Ruhe flanieren und ungestört etwas trinken, wo vor der Umgestaltung noch unzählige Autos unterwegs waren. Doch viele Unternehmer sind nach wie vor unzufrieden.


Mittwoch, 10 Uhr, 22 Grad. Sie erwacht gerade erst, die Mariahilfer Straße. Es sind so viele Autos unterwegs wie sonst zu keiner Tageszeit. Die meisten sind Lieferwagen, die ihre Waren zu den Geschäften bringen. Sie stehen überall entlang Wiens größter Einkaufsstraße, in der sonst kaum Fahrzeuge zu sehen sind. Nur noch in bestimmten Abschnitten dürfen sie im Schritttempo fahren. Jeder soll hier auf jeden achten. Begegnungszone nennt man das. Und hier begegnen sich nicht nur Autofahrer und Fußgänger. Immer wieder fährt jemand mit dem Rad an einem vorbei, manche, vor allem junge Menschen, sind mit Rollern, Skate- und Longboards unterwegs. Auch der 13A-Bus befährt ein Stück der Straße. Vor ein paar Jahren haben Anrainer gegen die Route noch protestiert. Heute hat man sich anscheinend auch daran gewöhnt. Friede, Freude, Einkaufsvergnügen? Oder täuscht der Eindruck?

 Wachsende Zustimmung

Die Shops öffnen gerade erst ihre Pforten und dafür, dass es ein ganz normaler Arbeitstag ist, sind doch viele Menschen unterwegs. Sie kaufen ein, sie trinken Kaffee in den Gastgärten, sie machen es sich in den Lounges unter einem der vielen neu gepflanzten Bäume gemütlich. "Ich hab heute frei. Dann bin ich gern auf der Mariahilfer Straße, weil nicht so viel los ist wie am Samstag", sagt Rosa, die beim Eisgeschäft Bortolotti sitzt. Hier drängen sich die Menschen auch um 22 Uhr noch vor der Theke. Aber vormittags kann man ganz gemütlich vom Westbahnhof bis zum Museumsquartier spazieren. Da, wo früher noch eine Blechlawine über die Straße rollte. Seit ein paar Jahren ist das anders. Am 1. August 2015 wurde die neue Mariahilfer Straße im Rahmen eines großen Fests eröffnet. 432 Meter Fußgängerzone. 1.198 Meter Begegnungszone. 87 Sitzgelegenheiten. 348.915 verlegte Granit- und Betonpflasterplatten.

Das Projekt, das im Rahmen des rot-grünen Regierungsübereinkommens nach der Wien-Wahl 2010 festgelegt wurde, hat anfangs für viel Wirbel gesorgt. Und zwar in ganz Österreich. Auch weil das Chaos regierte. Maria Vassilakou von den Grünen spürte den Gegenwind von vielen Seiten. Von der Opposition, von der Wirtschaft und sogar vom Koalitionspartner SPÖ. Also hat man zuerst Fußgänger- und Begegnungszonen eingerichtet. Und dann die Bürger befragt. Das Votum der Anrainer in den Bezirken Mariahilf und Neubau war schließlich ausschlaggebend für den Spatenstich im Mai 2014. Auch wenn es knapp war, 53,2 Prozent der Teilnehmenden waren damals für eine Beibehaltung der Verkehrsberuhigung.

Im August 2015, also nach der Fertigstellung, war die Zustimmung aus der Bevölkerung schon deutlich größer. Laut einer sozialwissenschaftlichen Evaluierung des SORA-Instituts haben sich damals 71 Prozent für die neue Mariahilfer Straße ausgesprochen. Und ausgezeichnet hat man das Projekt kürzlich auch.

 Ruhiger - und doch nicht

Die US-amerikanische Environmental Design Research Association, kurz EDRA, hat den sogenannten Great Places Award an die Mariahilfer Straße vergeben. Die Jury begründete das so: Einen einst stark befahrenen Einkaufsboulevard hat man zu einer fußgängerfreundlichen Umgebung gemacht. Dadurch ist es zu einer dramatischen Reduktion von Verkehr, Lärm und Umweltverschmutzung gekommen. EDRA betont auch, dass die Bürger in den Prozess eingebunden wurden. Das Projekt sei vorbildhaft für andere Städte, wenn es um die Verkehrsberuhigung geht.

"Ja, es ist schon ruhiger", sagt Thomas. Er wohnt in einer Nebenstraße, wir treffen ihn bei einem Marktstand. "Aber abends gibt es überall Gruppen von Jugendlichen. Die sind auch laut. Und ich werde oft gefragt, ob ich Kleingeld oder eine Zigarette habe. Das war früher nicht so arg." Abgesehen davon ist der Verkehr ja nicht verschwunden, sondern hat sich auf die umliegenden Straßen verlagert, wo es oft lange Staus gibt. Wer vom siebten in einen Bezirk über dem Wienfluss will, muss große Umwege in Kauf nehmen. Die Medaille glänzt keinesfalls auf beiden Seiten.

 Viele Geschäfte schließen

Davon können vor allem Unternehmer auf der Mahü, wie die Straße umgangssprachlich genannt wird, ein Lied singen. Das bestätigt der Obmann des Vereins "Kaufleute der Mariahilfer Straße", Walter Bachofner. Gegenüber alles roger? zieht der ehemalige Cafetier Bilanz: "Als wir von der Umgestaltung erfahren haben, haben wir zunächst Juhu geschrien. Als die dann abgeschlossen war, ist uns die Freude vergangen. Das war ja anders geplant. Heute ist das ein Stückwerk aus Begegnungszone und Fußgängerzone, wobei niemand weiß, wozu die Leute, wenn man links und rechts acht Meter breite Gehwege hat, auch noch eine Fahrbahn zum Gehen brauchen. Profitieren tun sowieso nur die Radfahrer. Für die Unternehmer war das vor allem am Anfang ganz schlimm. Wenn eine Familie mit Kindern drei Stunden auf der Mariahilfer Straße unterwegs ist und das Auto in ein Parkhaus stellt, kostet alleine das schon 12 Euro. Und wer will schon die Einkaufstaschen so weit herumschleppen? Ein Juwelier mit zwei Geschäften verzeichnete sogar Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent! Nicht zu vergessen die vielen Umwege, die sich aus diesem Umbau ergeben."

Eine positive Bilanz liest sich anders. So manchen Unternehmern ging die Luft aus und sie machten ihre Läden dicht: die Modegeschäfte Forever 21 und Promod, Stiefelkönig, Joka oder ein Standort von Betten-Reiter.

 Problem mit Mieten und Demos

Immer wieder sieht man Leerstände und Baustellen. Wir laufen durch ein paar Shops, an Kunden fehlt es auf den ersten Blick nicht. Also fragen wir bei der Wirtschaftskammer nach. Im Juli 2016 sprach man noch von einem Rückgang. "Bei den tatsächlichen Einkäufern unter den Passanten gibt es einen deutlichen Rückgang um knapp 13 Prozentpunkte von 65,9 Prozent auf 53,2 Prozent." Vor allem die zahlungskräftigen Käufer mit Auto seien deutlich weniger geworden. Neue Zahlen gibt es nicht. Manche Unternehmer und Experten sagen auch, dass die Mieten und die Demonstrationen auf der Mariahilfer Straße problematisch seien.

Die Wirtschaftskammer Wien möchte jedenfalls alle Initiativen unterstützen, die das Vertrauen der Kundinnen und Kunden in die Straße stärken, und stetig daran arbeiten, den Handelsunternehmen das bestmögliche Umfeld zu bieten. Der Handel sei im steten Wandel, so eben auch auf der Mariahilfer Straße. Und ja, Nike wird einen Shop eröffnen. Und ein neues Kaufhaus, das Kronenhaus, entsteht zwischen Schottenfeldgasse und Kaiserstraße und soll 2019 eröffnet werden. Die Zukunft wird weisen, ob die einst so umstrittene Neugestaltung von Wiens größter Einkaufsstraße wirklich ein Erfolg war.

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