Wie fühlt man sich als ärmste Sau, Herr Stöger?

Foto: Beigestellt
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Vier Wochen lang tankte Peter Stöger beim Urlaub, vorwiegend in einer Wiener Gartensiedlung, Kräfte für die neue Saison. Beim ersten Training im Kölner Geißbock-Heim erwarteten den sensationell erfolgreichen Trainer 2.000 FCKöln-Fans, die meisten im T-Shirt mit dem Schriftzug: Europapokal! Eines Tages, eines Tages wirds geschehen und dann fahren wir nach Mailand, um den 1. FC Köln zu sehen. Peter Linden sprach für alles roger? mit dem Mann, der die deutsche Karnevalsstadt in einen Freudentaumel versetzt hat.


Mit der Begeisterung der Fans steigen auch die Erwartungen. Angst davor, die nicht zu erfüllen?

Keine Sekunde. Wenn Köln nach 25 Jahren wieder im Europacup spielt, dann muss man in einer fußballverrückten Stadt wie Köln damit rechnen, dass alles noch etwas mehr wird als bisher. Das hat mich nicht überrascht. Warum sollen sich die Fans nicht freuen dürfen? Bisher ist es noch immer gelungen, das alles in realistische Bahnen zu lenken. So wird's auch bleiben. Ich lasse ohnehin so wenig wie möglich an mich heran, was meine tägliche Arbeit stören könnte.

 Sie begannen vor vier Jahren in der zweiten Liga. Jetzt gilt Köln als eine Fußball-Boomtown: 96.000 Mitglieder, fünf Trikots mit unterschiedlichem Design zur neuen Saison. Das ist Rekord. Ebenso wie der Marktwert des Kaders von über 118 Millionen Euro. Sie trainieren die teuerste Mannschaft in der Geschichte des Traditionsklubs. Bei den Zuschauerzahlen gab es letzte Saison eine Auslastung von 99 Prozent. Ändert sich etwas dadurch, dass der 1. FC wieder zurück an der Spitze in Deutschland ist?

Auch wenn sich die Größenordnungen ändern, ich bin sehr, sehr weit von einem Burnout entfernt. Nicht nur zu Saisonbeginn, sondern auch am Ende einer langen Meisterschaft. Mein Kerngebiet, die Trainerarbeit, bleibt doch überall gleich. Egal ob GAK, Wr. Neustadt, Austria oder 1. FC Köln. Du musst die Spieler korrekt behandeln und Verständnis haben. Das ist mittlerweile vielleicht sogar am wichtigsten. Verständnis für Spieler, die meine Entscheidungen nicht verstehen. Ich glaube nicht, ein Exklusivrecht auf die Wahrheit zu besitzen. Ich muss Verständnis haben, wenn ein Spieler schlecht drauf ist, den Fans etwas nicht gefällt, die Journalisten etwas anders sehen als ich.

 Der selige Ernst Happel, den Sie in ihrer Spielerzeit ja noch als Teamchef erlebten, behauptete, keine Zeitungen zu lesen.

Ich bezweifle, ob das den Tatsachen entsprach. Ich lese sie. Ich will ja wissen, wie die Journalisten, mit denen ich rede, denken.

 Nochmals zu Ernst Happel: Sein Sager, er werde erst nach Österreich zurückkehren, wenn er senil ist, war legendär. Wann kommt der Peter Stöger nach Österreich zurück?

Ich habe noch nie einen Karriereplan aufgestellt und verfolgt. So ist es auch jetzt. Ich denke nur daran, wie wir weiter erfolgreich bleiben. Ich rechne damit, dass der 1. FC Köln am Jahresende mehr als 100.000 Mitglieder haben wird.

 Das erste Trainingslager im steirischen Bad Radkersburg ist absolviert. Wie stehen die Chancen, ohne Torjäger Anthony Modeste Platz fünf zu wiederholen?

Ich bin kein Kaffeesatzleser. Wir formulieren unsere genauen Ziele erst beim zweiten Trainingslager in Kitzbühel. Wir müssten wieder überragend spielen und es müssten wieder Konkurrenten mit mehr Möglichkeiten schwächeln. Den Abgang von Modeste werden wir kompensieren. Dafür haben wir den Kolumbianer Jhon Cordoba von Mainz geholt. Bei dem Hin und Her um Modeste sind die anderen zu kurz gekommen. Jetzt steht Gott sei dank wieder die Vorbereitung mit den tollen Jungs im Mittelpunkt. Modeste konnte nur als Teil einer starken Gruppe funktionieren. Ich bin noch nie dem Glück eines Spielers im Wege gestanden. Seit ich bei Köln bin, haben wir Transfers von Spielern realisiert, die wir gerne behalten hätten, weil es ihren Wünschen entsprach. Etwa bei Kevin Wimmer. Wir waren nicht auf die 35 Millionen Ablöse für Modeste angewiesen. Wir haben in den letzten Saisonen gespart.

 Köln hat sich in Ihrer Zeit also zum Erfolg gespart?

Genauso ist es. Darum konnten wir schon einkaufen, bevor der Modeste-Abgang wirklich feststand. Es ist doch immer entscheidend, was man aus den Möglichkeiten macht. Das ist der Job jedes Trainers. Zu meiner Arbeit gehört auch, das Team auf dem Boden der Tatsachen zu halten. Und mich auch.

 Der Ur-Wiener aus der Favoritner Hansson-Siedlung wurde in Köln zur Institution, geradezu zum Kult, wie früher der Volksschauspieler Willi Millowitsch.

Aber ich spiele meiner Mannschaft nichts vor. Nach außen hin muss ein Trainer vielleicht schon mitunter ein Schauspieler sein. Ich fühlte mich in Köln von Beginn an wohl, es gab keine Vorbehalte gegen mich. Und eine längere Negativserie blieb uns bis jetzt auch erspart.

 Man rechnet dem Trainer aus Wien auch hoch an, dass sieben Spieler des erfolgreichen Kaders in Köln geboren sind.

Wenn zwei gleichwertig sind, bekommt schon der mit Kölner Wurzeln den Vorzug. Aber das ist keine Bedingung. Wir holen Leute, die uns weiterbringen.

 Jetzt gibt's erstmals die Dreifachbelastung.

Wegen der sechs Spiele in der Europa League zerbreche ich mir nicht den Kopf. Meine Jungs haben ihren tollen Charakter schon bewiesen. Wer in der Bundesliga eine gute Figur macht, kann das auch international.

 Gibt´s da schon ein Wunschlos?

Während meines Urlaubs traf ich bei einem Charity-Event die Rapid-Stimme Andy Marek, der alles moderierte. Als er mich vorstellte, die Sache mit der Rückkehr in den Europacup erwähnte, sagte ich: ,Aber gegen Rapid können wir nicht spielen'. Er fand das nicht zum Lachen. Mich würde es sehr freuen, wenn wir gegen meinen ehemaligen Klub Austria spielen könnten. Und auch gegen den AC Milan. Die Kölner Fans wollen ja auch sehr gerne nach Mailand.

 Als die Spielerkarriere endete, sagten Sie noch, nicht Trainer werden zu wollen, weil der immer die ärmste Sau ist. Wie fühlt man sich als erfolgreiche, ärmste Sau?

Da hat sich nichts geändert. Spätestens im Oktober beginnt die gefährliche Zeit für Trainer, vielleicht irgendwann auch für mich sogar in Köln. Da bin ich Realist. Aber als Trainer kannst du auch immer etwas bewirken. Das ist spannend und mir auch das Risiko wert.

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