Norbert Hofer beschreibt sich selbst als fröhlich, gelassen und ausdauernd. Die Attribute sympathisch, ehrlich und authentisch würden ebenso gut passen, denn genau so kommt der ehemalige Infrastrukturminister und nunmehrige FPÖ-Parteiobmann beim alles-roger?-Interview rüber. Hofer zieht Bilanz über die türkis-blaue Koalition und sein Ministeramt, spricht über den Wahlkampf und erklärt, warum für ihn nur wieder Türkis-Blau in Frage kommt.
Interview: Regina Zeppelzauer
Vom Minister zum FPÖ-Chef - wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?
Also fad war es nicht. Das Ministeramt war sehr ausfüllend, aber natürlich, in so einer Situation muss man ganz schnell Entscheidungen treffen, und jede Entscheidung ist schwerwiegend. Das Wichtigste ist dabei, die Partei zusammenzuhalten. Man hängt sehr viel am Telefon, schaut dass alle mit einer Zunge sprechen, dass man einen gemeinsamen Weg findet, und das ist gelungen. Das ist auch der Grund, warum wir bei der Europawahl viel besser abgeschnitten haben, als einige sich das gewünscht hätten.
Was hätten Sie als Minister noch gerne durchgesetzt?
Da gibt es jede Menge, obwohl wir etliches umgesetzt haben. Im Forschungsbereich haben wir viel in Richtung autonomes Fahren gemacht, auch autonomes Fliegen. Das ist keine Zukunftsmusik, in China werden Postpakete und Essen zugestellt. Ich bin schon mit manntragenden Drohnen mitgeflogen. Das autonome Fahren wird etwas schwieriger, es wird rasch stattfinden auf Autobahnen. Die Herausforderung sind die Städte. Das wird etwa bis Anfang der 2030er-Jahre dauern, aber dann sind wir wirklich autonom. Wir haben sehr viel investiert in die Bahninfrastruktur, vor allem in den Ausbau Richtung Süden. Auch Betriebsleiterloses Fliegen wurde umgesetzt, aber es gibt 1.000 Dinge, die ich noch machen wollte.
Ihre persönliche Bilanz der türkis-blauen Regierung - was hätte man besser machen können, was war gut?
Ich bin sehr zufrieden und ich glaube, dass auch viele Österreicherinnen und Österreicher mit dieser Regierung sehr zufrieden waren, weil endlich etwas weitergegangen ist. Man darf ja nicht vergessen, es hat in dieser Regierung nur eine Person gegeben, die Regierungserfahrung hatte, das war der Kanzler selbst. Alle anderen haben sich irrsinnig schnell eingearbeitet. Es war eine tolle Teamleistung, ich muss aber schon betonen, dass die freiheitlichen Minister besonders aktiv waren.
Was war Ihre größte Leistung als Minister?
Sehr erfolgreich war die Ratspräsidentschaft, wo wir beginnend vom Weltraumpaket, über viele andere Themen wirklich Dinge abschließen konnten. Ich glaube, dass insgesamt im Verkehrsbereich viel passiert ist, mehr als bei vielen Vorgängern.
In den knapp 18 Monaten türkis-blauer Koalition war ein Markenzeichen dieser Regierung das gegenseitige Vertrauen. Hat man zu viel vertraut?
Wir haben schon gewusst, dass es in der ÖVP einen starken Block gibt, der diese Koalition nicht will, aber dieser Block war nicht so stark aufgestellt. Mit den Vorwürfen etwa in Richtung Identitäre ist dieser Block stärker geworden. Kurz war in der Defensive, und seine Generalvollmacht nichts mehr wert. Ich glaube, dass es ein großer Fehler war, die Regierung aufzulösen! Strache ist zurückgetreten, er hat den Platz freigemacht, damit es weitergehen kann. Und es wäre weitergegangen.
Würden Sie unterschreiben, was intensiv kolportiert wird, dass in Wahrheit Kräfte innerhalb der ÖVP diese Regierung zerstört haben, die als Personen gar nicht in der Regierung waren?
Ich würde nicht sagen mutwillig, die haben schon von Haus aus eine gewisse Skepsis gehabt. Aber der Kanzler war sehr unter Druck. Wir haben ja Gespräche geführt in diesen Stunden. Am Freitag tauchte das Video auf, am Samstag bin ich aus Innsbruck retour und da ist gesagt worden, Kickl muss weg.
Aus welchem Grund genau?
Der Grund, der angeführt worden ist, war, er kann nicht gegen sich selbst ermitteln. Das war kein sachlicher Grund. Es ermittelt die Justiz, er hat eine Staatssekretärin, also man wollte ihn einfach nicht. Kickl musste weg. Ich sagte, wir haben morgen Präsidiumssitzung, ich werde dieses Anliegen vorbringen. Dann hieß es: Nein, es muss heute entschieden werden, in den nächsten zwei Stunden, weil der Druck so groß ist. Ob es jetzt der Druck der Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt war, oder einzelner Länderfunktionäre, oder beides, das weiß ich nicht. Aber er konnte diese Entscheidung nicht vereiteln.
Herbert Kickl wird ja nach wie vor angegriffen ...
Ja, dabei sind viele Errungenschaften, die Kurz jetzt lobt, aus dieser Zeit und diesem Ministerium.
Aber im Kontext zu heute, wo Kurz permanent sagt, das Innenministerium muss wieder die ÖVP führen, ist es eigentlich klar was man wollte.
Er hat es ja nicht zugegeben. Zuerst sagte Kurz, Kickl muss weg. Die letzte Aussage war: Nein, das Innenministerium muss in ÖVP-Hand.
Herbert Kickl soll seinerseits als künftige Koalitionsbedingung genannt haben, dass die FPÖ wieder den Innenminister stellen muss.
Er sagte, wir gehen mit dieser Position in Verhandlung. Ich sage auch immer, wenn wir uns durchsetzen wollen, brauchen wir Stimmen. Wenn wir überhaupt regieren wollen, müssen wir deutlich über 20 Prozent kommen, damit sich Schwarz-Grün nicht ausgeht. Wenn Kurz sich entschließt in eine Koalition mit der SPÖ zu gehen, oder eine Dreiervariante zu machen, ÖVP-Grüne-NEOS, dann wird die ÖVP sehr rasch bei Umfragewerten von Mitterlehner landen, und sie werden die kommenden Landtagswahlen in Serie verlieren. Und wir wissen wie das in der ÖVP ist, wenn ein Obmann drei, vier Wahlen auf Länderebene verliert, das ist für keinen Obmann angenehm. Deswegen glaube ich schon, dass am Ende des Tages, wenn der Wahlkampf geschlagen ist, wenn man sich in Ruhe zusammensetzt, wenn man alles abwägt, dass dann auch vernünftige Entscheidungen getroffen werden.
Könnte das Zustandekommen einer neuerlichen türkis-blauen Koalition an der Frage scheitern, ob Herbert Kickl wieder Innenminister wird oder nicht?
Diese Frage stellt sich aktuell nicht. Diese vermeintlichen Koalitionsbedingungen, die von anderen Parteien jetzt schon gestellt werden, darf man sechs Wochen vor der Wahl nicht allzu ernst nehmen. Jetzt bestimmt erst einmal der Wähler, dann geht es um inhaltliche Schnittmengen zwischen den Parteien, dann wird ein Regierungsprogramm ausgearbeitet - und erst dann geht es um die Personen, die Ministerämter übernehmen. An Personalspekulationen zum jetzigen Zeitpunkt beteilige ich mich nicht.
Ein möglicher Gesprächstermin von Ihnen mit Kurz wurde abgesagt, warum?
Ja, ich habe gesagt, machen wir es nicht. Er hat sich doch ohnehin schon mit der SPÖ und mit den Grünen getroffen. Was sollen wir jetzt besprechen? Ich weiß, welche Koalition ich will.
Gibt es überhaupt eine Gesprächsbasis mit Kurz?
Die Basis gibt es, aber das Gespräch wäre sinnlos gewesen. Noch dazu wurden die Termine geleakt - nicht von uns. Entweder ich spreche mit allen Partei-Obleuten vor der Wahl, und zwar nicht nur Kurz mit allen, sondern auch ich mit allen, oder ich mache das nach der Wahl und das ist sinnvoller.
Burgenlands FPÖ-Klubobmann Johann Tschürtz träumt von einem Kanzler Doskozil mit Ihnen als Vizekanzler. Ihre Meinung dazu?
Ich verstehe es, weil Doskozil im Burgenland super funktioniert. Man darf auch nicht vergessen, Kurz hat die Regierung aufgekündigt, Doskozil hat es im Burgenland fortgeführt. Nur das Modell Burgenland kann ich nicht auf die Bundesebene kopieren, das ist etwas völlig anderes. Erstens würden die Wiener Roten niemals mitmachen, Doskozil hat nicht die Mehrheit in der Partei. Zweitens ist die SPÖ in einer totalen Phase der Schwäche, das geht sich mathematisch gar nicht aus. Es kann der SPÖ leicht passieren, dass sie auf den dritten Platz zurückfällt und ich mache den Dritten nicht zum Ersten.
Wie schaut Ihre persönliche Wunschkoalition aus? Wieder Türkis-Blau oder gibt es eine Alternative?
Nein, es gibt entweder das oder Opposition, nichts anderes ist denkbar. Wenn sich Schwarz-Grün nicht ausgeht, ist es wahrscheinlicher, dass wir regieren. Ich glaube, dass wir deutlich über 20 Prozent liegen werden. Ich habe den Eindruck, wenn ich unterwegs bin, das wird ein wirklich gutes Ergebnis. Und mit einem schwachen Ergebnis regiert man nicht.
Kommen die Grünen zurück?
Die kommen zurück, auf Kosten der SPÖ. Auch auf Kosten der NEOS, die nicht viel Spielraum haben.
Sehen Sie im Moment - außer Kurz - überhaupt politische Gegner?
Ich sehe Kurz auch nicht als Gegner. Unser Gegner ist Schwarz-Grün und das wollen wir mit jeder Faser verhindern.
Inwieweit hat HC Strache der FPÖ geschadet? Sie selber sagen, die FPÖ hat von den Zahlen her nicht so viel verloren?
Naja, wir wären bei der Europawahl schon zweitstärkste Partei gewesen.
Die Wahl war aber auch knapp nach dem Video ...
Natürlich ist es immer so, dass du bei Interviews dann mit dieser Frage blockiert bist und nicht die eigenen Positionen bringen kannst. Nur, ich kann es nicht ändern und ich habe mich auch nicht hinreißen lassen, den Stab zu brechen und zu sagen, mit Strache wollen wir nichts mehr zu tun haben. Das wäre auch ein Fehler gewesen.
Was ist Ihre Erklärung dafür, dass nach diesem Supergau - festgehalten in Bild und Ton -, die FPÖ nicht so abgestürzt ist, wie viele befürchtet oder auch gehofft haben?
Ich glaube, das sind drei Dinge. Erstens eine sehr beliebte Regierung. Zweitens die totale Einigkeit in der FPÖ. Und natürlich, dass es übertrieben worden ist. Man hat tagelang nur das gesehen und man weiß, wie schnell man dann satt ist als Medienkonsument, wenn man immer nur Ibiza, Ibiza, Ibiza hört. Irgendwann hat man genug.
Hätte es nicht gereicht, wenn Strache statt zurückzutreten, für ein paar Wochen untergetaucht wäre?
Nein, das war schon richtig so. Sich einmal zurückzunehmen und sich zu rehabilitieren.
Wird es einen "Ibiza-U-Ausschuss" geben?
Die Frage ist, wie flott die Justiz ist - oder auch nicht. Im Moment tut sich da nicht viel.
Zurzeit kursieren Gerüchte, dass es innerhalb der FPÖ zu Lagerbildungen kommt. Ist HC Strache mittlerweile unberechenbar geworden für Sie und ist die blaue Parteispitze nur nach außen einig?
Diese Medienberichte, die da kursieren, stimmen einfach nicht. Die FPÖ hat die durch das Ibiza-Video ausgelösten Turbulenzen gut gemeistert. Auch Herbert Kickl und ich harmonieren als Zweier-Gespann. Für Heinz-Christian Strache steht im Augenblick die lückenlose Aufklärung der ganzen Causa im Vordergrund. Über ein Comeback zu sprechen ist noch zu früh. Die blaue Parteispitze jedenfalls ist nach außen und nach innen geeint.
Wahlkampf ist immer eine sehr anstrengende Sache, nicht nur körperlich. Wie halten Sie sich fit, gibt es ein Coaching?
Nein, wer soll mich coachen? Es gibt kaum jemanden, der so viel Zeit in Wahlkämpfen verbracht hat wie ich. Aber was für mich wichtig ist, ich brauche immer ein bisschen Sport. Ich bereite mich auch auf Fernsehdiskussionen vor, indem ich vorher, wenn es geht noch am selben Tag, wenigstens eine Stunde am Mountainbike sitze. Dann kriege ich den Kopf frei.
Gibt es einen Unterschied zwischen einem Präsidentschaftswahlkampf und dem eines Spitzenkandidaten?
Der riesige Unterschied ist, dass es mehrere Kandidaten gibt. Im Präsidentenwahlkampf fokussiert sich alles was passiert nur auf eine Person. Das ist schon sehr intensiv. Und jetzt teilt sich das viel mehr auf. Das wird von mehreren Schultern getragen, das ist sehr angenehm.
Welche Themen sind für die FPÖ im Wahlkampf vorrangig?
Das Hauptthema ist, welche Koalition gibt es nach der Wahl. Gib es einen Linksruck? Wird jetzt alles wieder rückgängig gemacht, was diese Regierung gemacht hat? Ansonsten ist unsere inhaltliche Linie bekannt aus dem Regierungsprogramm. Ein Thema wird aber zusätzlich mehr Gewicht bekommen, das ist die Frage der direkten Demokratie.
Sie gelten als Mr. Nice Guy - Sind Sie wirklich so nett oder ein Wolf im Schafspelz?
(Lacht) Man kann in der Politik nicht überleben, wenn man immer nett ist.
Aber Sie kommen so rüber ...
Man kann nicht immer nett sein. Wenn es darum geht, Punkte durchzusetzen, muss man draufbleiben. Ich muss ja nicht draufbleiben und toben, ich kann dabei auch ruhig bleiben.
Sind Sie ein Perfektionist?
Nein, bin ich nicht, außer beim Fliegen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass ein Mensch, der auf seine psychische Gesundheit achtet, sich auch erlaubt einmal einen Fehler zu machen. Ich bin ein großer Fan von Dale Carnegie, der sagt: Was gestern war, ist völlig egal. Es ist zwar nicht egal, was die Auswirkung auf heute anbelangt, aber wenn ich es nicht mehr ändern kann, dann muss ich nicht grübeln, und sagen, mein Gott, ich hab? das falsch gemacht. Ich muss schauen, was war falsch und wie mache ich es künftig. Sich selbst etwas verzeihen zu können ist in der Politik wichtig und auch insgesamt im Leben.
Abseits dieser Wahl, haben Sie trotzdem noch das Ziel irgendwann einmal Bundespräsident zu werden?
Tja, ich habe noch nicht viel darüber nachdenken können. Aber eines mache ich sicher nicht, wenn wir regieren, dass ich dann als Vizekanzler die Regierung verlasse in der laufenden Periode, um für ein anderes Amt zu kandidieren. Dafür ist das Projekt viel zu wichtig. Und ich bin ja noch jung, es gab schon Bundespräsidenten die waren älter als ich.
Statistisch gesehen hat Sie damals jeder zweite Österreicher gewählt. Nützt das jetzt für die NR-Wahl?
Bestimmt. Vor allem nach der Causa Ibiza um HC Strache war es wichtig, auch andere Personen in der Partei zu haben, die einen gewissen Bekanntheitsgrad haben. Über uns wird oft gesagt, die FPÖ hätte keine Personaldecke. Das Gegenteil ist der Fall. Aber fragen Sie einmal die Leute auf der Straße, wer ist der Listenzweite bei der ÖVP oder der SPÖ. Die ÖVP schickt Karoline Edtstadler ins TV-Duell, die kandidiert aber gar nicht. Als würde es keine anderen Kandidaten auf der Liste geben, die dem Pilz gewachsen sind. Auch wie man wahlkämpft, hat sich total verändert. Erstens durch die vielen Fernsehtermine, da kann man nicht mit Tränensäcken übermüdet im TV-Studio sitzen. Da noch eine Österreich-Tour zu machen, das schafft man nicht. Deshalb bin ich froh, dass Herbert Kickl durch Österreich tourt, das können wir uns gut aufteilen. Das Smartphone hat sowieso alles verändert. Früher hat man eine Rede gehalten, ein paar Autogramme geschrieben. Heute kommen die Leute gar nicht wegen der Rede, die wollen nur ein Selfie.
Herbert Kickl und Norbert Hofer sind zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Glauben Sie, dass Sie sich gegenseitig Stimmen wegnehmen werden?
Ich würde gar nicht sagen unterschiedlich, wir ergänzen uns sehr gut. Wir haben ganz große Schnittmengen was die Wählerschaft anbelangt.
Trotzdem, ist Kickl nicht ein Typ, der viel mehr polarisiert?
... Aber auch die Kernwählerschaft stabilisiert, und ich kann darüber hinaus gehen und kann neue, andere Wählerschichten ansprechen. Das ist die optimale Kombination. Persönlich verstehen wir uns auch sehr gut, das ist eine gute Grundlage.
Warum soll der Wähler am 29.9. FPÖ wählen?
Weil mit dieser Stimme garantiert ist, dass die gute Regierungsarbeit nicht rückabgewickelt werden kann, sondern fortgesetzt wird. Wir wissen alle, wer bei dieser Wahl den ersten Platz machen wird. Wir wissen auch alle, wer der Bundeskanzler sein wird. Aber die Frage ist, welcher Kanzler wird er sein - wird er der Kanzler sein in einer schwarz-grünen oder einer schwarz-roten Koalition, oder ist er ein Kanzler in einer Koalition mit der FPÖ, wo genau dieses Projekt fortgesetzt werden kann.
Was soll einmal in den Geschichtsbüchern über Sie stehen?
Das ist mir vollkommen egal. Mir ist wichtig, dass meine Enkelkinder sagen, der Opa war total in Ordnung. (lacht) Das ist mehr wert.