Ich halte Kurz für zu unerfahren

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Jürgen Stephan Mertens gehört zu den bekanntesten Strafverteidigern des Landes und machte sich mit der Verteidigung von Helmut Elsner einen Namen. In den sozialen Netzwerken tut der Topjurist seinen Unmut gegen Kurz und Strache kund und sieht Österreich als rechtsradikales Mekka. Wir baten Mertens zu einem Gespräch und freuen uns, dass er es angenommen hat.


Interview: Roland Hofbauer

Sie wurden auch durch das Elsner-Verfahren bekannt und wissen, dass die Roten "genug Dreck am Stecken" haben. Haben Sie damit weniger Probleme als mit den Verfehlungen der Blauen?

Ich bin politisch nicht fixiert und kein Sozialdemokrat. Elsner hab' ich vertreten, weil er in Untersuchungshaft war, und als er wegen Vollzugsuntauglichkeit enthaftet wurde, habe ich das Mandat aufgegeben. Als er später nochmal in Gefahr stand, in Untersuchungshaft zu kommen, habe ich das Mandat wieder übernommen. Dann wurde es wieder niedergelegt beziehungsweise aufgelöst. Ich bin mit keiner Partei verbunden und war nie in der SPÖ. Ich bin ein Liberaler. Ich werde nie in eine Partei gehen, die dem Staat eine zu hohe Macht gibt. Ich bin grundsätzlich eher staatskritisch, egal ob der Staat von links ausgeht oder von rechts. Als Liberaler bin ich für die Rechte des Individualwerts.

Sie nennen Sebastian Kurz  in den sozialen Netzwerken den "Maturanten". Das ist kein Kompliment. Was an ihm stört Sie?

Das Problem, das ich mit der neuen ÖVP habe, ist, dass sie auch eine Partei ist - wie auch die Liste Pilz - wo eher die Personenstruktur im Vordergrund steht und weniger das Programm. Wenn die Person die Programme verkörpert, dann ist das etwas, mit dem eine Partei relativ gut funktioniert. Wenn Programme völlig hinter die Person zurücktreten, es nur noch um die Person geht, wie ein Fan-Kult, dann ist das etwas, das ich für gefährlich halte, weil es irrational ist. Das ist das Problem, das ich mit Kurz habe, und dass ich ihn einfach für zu unerfahren halte.

Das bedeutet, es gibt gewisse Sachen, die Sie stören an der ÖVP. Die FPÖ, die halten Sie aber für brandgefährlich?

Die FPÖ ist eine rechtspopulistische Partei mit leicht oder schwer rechtsextremen Tendenzen. Die Abgrenzung zu den Identitären und neonazistischen Gruppierungen halte ich nicht für glaubwürdig. Es bestehen Traditionslinien hin zu antidemokratischen und auch zu gefährlichen Strukturen. Das ist etwas, was bei der FPÖ noch immer nicht aufgearbeitet ist. Ich habe Haider für weit weniger gefährlich gehalten als jetzt die neue FPÖ. Haider war für mich ein klassischer rechtspopulistischer Politiker - eher wie Berlusconi in Italien -, aber was da jetzt kommt, das könnte eine ganz andere Qualität haben 

Sie haben alles roger? als rechtsex­trem bezeichnet. Wieso?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht so viel gelesen habe, als dass ich ein abschließendes Urteil abgeben könnte. Wie gesagt, ich bin liberal. Wenn alles roger? ein Interview mit mir darüber macht, wie wichtig ein Individualrecht gegenüber der Staatsgewalt ist und es einen Anwalt gibt, der es schützt, dann würde ich alles roger? sehr gut finden.

Was wir ja jetzt machen.

Ja.

Welche Partei würden Sie Ihren Freunden in Österreich empfehlen?

Ich würde entweder die Neos wählen, wobei ich mit der Übermacht von Haselsteiner nicht so glücklich bin. Immer wenn Abhängigkeiten von Einzelpersonen bestehen - wegen großer Wahlkampfspenden -, ist das ein Problem. Das gefällt mir nicht, oder ich würde die Grünen in einer gewissen Form wählen.

Ihnen sind Menschenrechte sehr wichtig. Sehen Sie in Europa ein Problem der Islamisierung durch den Flüchtlingsstrom?

Nein. Für mich gibt es in Europa kein Problem der Islamisierung, das ich für wesentlich halten würde. Es gibt islamistische Einzeltäter, aber die bringen unser demokratisches System und unsere Menschengrundrechte nicht zum Einsturz. Auf anderen Kontinenten besteht die Gefahr durchaus. Gnade uns Gott, wenn sie in Pakistan die Atomwaffen in die Hand bekommen, das halte ich für sehr gefährlich.

Sehen Sie die rechtsextreme Gefahr größer als die, die von der Islamisierung in Europa ausgeht?

Ja. Auch in Amerika.

Sie haben des Öfteren geschrieben, dass man den Antisemitismus spürt. Wo spürt man den in Österreich?

Antisemitismus hat in Österreich eine alte Tradition, die in vielen Strukturen und Bewusstseinsebenen vorhanden ist. Zwar nicht in dieser brutalen und offenen Form, aber man darf nicht vergessen, dass es kaum noch Juden in Österreich gibt. Es gibt immer eine große Bewegung gegen Minderheiten, wenn sie überpräsent sind. Als es in der Weimarer Republik oder in der Ersten Republik die vielen armen Juden aus dem Osten gab, die die Straßen bevölkert haben, die Scherenschleifer waren, dann waren diese eine sichtbare Gruppierung einer Minderheit, auf die sich der Hass fokussiert hat. Jetzt sind es die Moslems. Für mich ist der Antisemitismus eine parallele Erscheinung von einer Minderheitenfeindlichkeit, von einer Minderheit, die äußerlich kenntlich ist und von der Mehrheit strukturell zum Abschuss freigegeben wird. Das ist ein struktureller Antisemitismus.

Importieren wir diesen Massen-Antisemitismus nicht gerade? Vielen Moslems wurde von Kindheit an suggeriert: Israel ist der Teufel, Juden sind böse.

Man muss Antisemitismus und Antiisraelismus unterscheiden. Die Gründung des Staates Israel und die damit verbundenen Folgen haben natürlich zu einem großen - vor allem in der Region dort - Antiisraelismus geführt. Inwieweit wir den wirklich importieren, das weiß ich nicht. Es gibt antiisraelische Strömungen in Europa. Da gibt es viele Motive. Israel ist die einzige lebende und strukturierte Demokratie in dieser Region. Es ist umgeben von Ländern, für die das äußerst problematisch ist. Ich kann auch jeden Israeli verstehen, das ist ein sehr komplexes und heterogenes Problem.

Sie haben geschrieben, dass die FPÖ-Wähler nicht die Hellsten und einfach relativ dumm sind. Glauben Sie wirklich, dass die dämlich sind?

So würde ich das nicht sagen, aber die haben einen eher niedrigen Bildungsabschluss und sind im globalen Wettbewerb nicht gerade die, die ganz vorne mitmischen, sonst hätten sie nicht so viel Angst vor den anderen. Also wenn ich Angst habe vor einem Asylwerber, dass der mir jetzt meinen Arbeitsplatz streitig macht ...

Aber geht es bei dieser Angst nicht eher um Gewalttaten als um Jobs?

Die Kriminalität unter jugendlichen Asylwerbern ist nicht höher als in der Vergleichsgruppe der österreichischen Jugendlichen. Es gibt keine signifikant gesteigerte Kriminalität. Nimmt man die soziale Schichtung dazu, ist sie sogar niedriger. Man kann medial einen Fall nehmen und ihn aufblasen und generalisieren. Aber mit Statistik und Wissenschaft hat das nichts zu tun. Wenn man Asylwerbern nicht gestattet zu arbeiten, dann werden sie höchstwahrscheinlich kriminell. Sobald ich jemandem nicht erlaube, für seine Existenz aufzukommen, bleibt ihm naturgemäß nichts Anderes übrig, als gegen Gesetze zu verstoßen.

Wir haben doch auch Armut im eigenen Land. Sollte man sich nicht um die eigenen Leute kümmern?

Ich sage ja auch nicht, dass man nichts für die eigenen Armen tun sollte. Ich sage auch nicht, dass ein Land sich aufgeben muss, um einen menschenrechtlichen Standard zu erfüllen. Wir könnten problemlos diese Flüchtlingswellen bewältigen, diese Leute verköstigen und unterbringen, da würde wahrscheinlich, wenn man die Belastung gerecht verteilen würde, niemand darunter leiden.

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