Am österreichischen Nationalfeiertag feiern wir etwas, das die Politik seit dem EU-Beitritt mit Füßen tritt: die immerwährende Neutralität. Trotz allem ist sie nach wie vor tief im Herzen vieler Österreicher verankert ? und sie sollte im Sinne von Frieden und Wohlstand dringend wiederbelebt werden, wie beispielsweise der Ressourcenökonom und Buchautor Heinrich Wohlmeyer fordert.
Text: Klaus Faißner
Frankreich feiert die Französische Revolution, Deutschland die Wiedervereinigung und die USA begehen die Unabhängigkeit von den Briten. Beim Nationalfeiertag geht es um ein Thema, auf das die Bürger des Landes besonders stolz sind. Und worum geht es in Österreich am 26. Oktober? Darüber schreiben die Hauptstrommedien äußerst ungern, weil sie meist nichts vom Neutralitätsgesetz von 1955 wissen wollen. Mit diesem hat Österreich "seinen Willen erklärt, für alle Zukunft und unter allen Umständen seine Unabhängigkeit zu wahren und sie mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen". Unser Land hat hier "seine immerwährende Neutralität festgelegt", um damit "als dauernd neutraler Staat einen wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten zu können". Sechs Jahre Krieg und zehn Jahre Besatzung durch alliierte Soldaten lagen hinter Österreich. Als erste Tat nach dieser schlimmen Zeit beschlossen die Parlamentspolitiker - wenige Monate nach dem Staatsvertrag und den brühmten Worten Leopold Figls "Österreich ist frei" - das Neutralitätsgesetz, eben am 26. Oktober 1955. Mit dem Abzug des letzten fremden Soldaten hat unser Nationalfeiertag also nichts zu tun.
"Basis für Frieden und Wohlstand"
Das ganze Land lag 1955 im Freudentaumel. Das Neutralitätsgesetz sei die "dauernde Basis für eine Außenpolitik, die unserer Heimat und unserem Volke für alle Zukunft Frieden und Wohlstand gewährleisten soll", betonte damals Bundeskanzler Julius Raab. Tatsächlich mehrte Österreich in den kommenden Jahrzehnten Wohlstand und widmete sich dem Frieden, wie zum Beispiel 1961 beim Gipfeltreffen zwischen US-Präsident John F. Kennedy und dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow, mitten im Kalten Krieg.
Die Neutralität "nach dem Muster der Schweiz" war für fast alle Österreicher heilig und sie ist es für viele bis heute geblieben. Kein Wunder: Schließlich ist die Neutralität im Neutralitätsgesetz mit drei Ewigkeitsbegriffen - "dauernd", "immerwährend" und "in aller Zukunft" - in Stein gemeißelt. Sie sollte es zumindest sein, wie der ehemalige Justizminister Hans Klecatsky bis zu seinem Tod im April 2015 immer wieder betonte. Nur ein Einziger dürfe nämlich rechtlich die Neutralität antasten: das Volk in einer Volksabstimmung.
SPÖ und ÖVP für Militärunion
Trotzdem entsorgte sie die Politik auf der Müllhalde der Geschichte. Neuer, unrühmlicher Höhepunkt war am 7. September die Zusage von SPÖ-Verteidigungsinister Hans Peter Doskozil und ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz, Österreich bei der Schaffung einer EU-Militärunion zu beteiligen. Geschehen soll dies in Form der "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" (SSZ) der EU. "Die Teilnahme Österreichs an der SSZ ist ein weiterer massiver Anschlag auf die österreichische Neutralität, die nach wie vor im Verfassungsrang steht", protestierte die linke Solidarwerkstatt in einem offenen Brief an National- und Bundesrat. "Die Teilnahme an diesem militärischen Kerneuropa ist gekoppelt an die Bereitschaft, Milliarden in Aufrüstung zu investieren und Menschenleben aufs Spiel zu setzen." Dieser Schritt der zuständigen Minister, ohne auch nur eine Diskussion im Parlament, zeige, "wie verantwortungslos mittlerweile die politisch Verantwortlichen mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit umgehen".
"Öl ins Feuer gießen"
Erst im heurigen Juni hatte die rot-schwarze Regierung umfangreiche NATO-Truppen- und Panzertransporte durch Österreich zur Abhaltung von internationalen militärischen Großübungen nahe der russischen Grenze genehmigt. Dagegen protestierte das überparteiliche EU-Austrittskomitee scharf: "Wir als Unterzeichnende sind entsetzt, dass die Bundesregierung im Angesicht der zunehmenden Spannungen nunmehr aktiv dazu beiträgt, dass ... an den russischen Grenzen auch noch Öl ins Feuer gegossen wird. Dies ist nicht nur eindeutig mit der immerwährenden Neutralität Österreichs unvereinbar, sondern birgt auch das Risiko in sich, dass wir in den Augen der Russen nicht mehr geachtete und neutrale Vermittler sind, sondern Feindstaatqualität haben", erklärte der anerkannte Ressourcenökonom Heinrich Wohlmeyer. "Ohne die EU-Mitgliedschaft Österreichs wäre eine solche völkerrechts- und verfassungswidrige Vorgangsweise der Bundesregierung undenkbar", ergänzte Inge Rauscher, Vorsitzende des EU-Austrittskomitees. Es sei zu bedenken, dass 24 der 28 EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig NATO-Mitglieder sind. Die österreichische Bundesregierung agiere "in vorauseilendem Gehorsam gegenüber EU-Brüssel, den USA und dem NATO-Angriffsbündnis" und setze damit "unsere immerwährende Neutralität endgültig aufs Spiel".
Nein zur NATO-Umarmung
Auch die schädlichen wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland und Syrien widersprechen Österreichs Neutralität. Die Schweiz als Nicht-EU-Staat blieb neutral und verhängte keine Sanktionen. "Die Wiederbelebung der Neutralität nach dem Muster der Schweiz wäre ein Gebot der Stunde", appellierte Heinrich Wohlmeyer bereits vor einem Jahr an alle verantwortlichen Politiker (alles roger? berichtete). Es bestehe die akute Gefahr eines dritten Weltkriegs, weil zum Beispiel der russische Bär von der NATO ständig gereizt werde.
Als ersten Schritt müsse Österreich die Partnerschaft mit der "Aggressionsorganisation" NATO kündigen und die militärische Zusammenarbeit mit NATO-Ländern aufgeben. Als einzige Partei im Nationalrat fordert dies seit wenigen Monaten auch die FPÖ: Als Grund gab Parteiobmann Heinz-Christian Strache die Blockadepolitik der Türkei gegen Österreichs Teilnahme an NATO-Partnerschaftsprogrammen an. Österreich soll sich "voll und ganz" auf seine "Neutralität und Vermittlerrolle in der Welt" konzen-trieren, so der FPÖ-Chef in einem APA-Interview.
Die Teilnahme an der NATO-Partnerschaft gleichzeitig mit dem EU-Beitritt 1995 war der erste und gleichzeitig schwerwiegendste Einschnitt in die österreichische Neutralität. Dementsprechend wurde sie im Laufe der Jahre immer mehr zum Gespött vieler Politiker: "Die alten Schablonen - Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität - greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr", höhnte 2001 der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, jetzt Vertrauensmann von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. "Österreich ist nicht neutral, sondern massiv abhängig vom ... Wohlergehen der anderen Länder der EU", erklärte ÖVP-EU-Abgeordneter Otmar Karas. "Die Neutralität ist tatsächlich in Österreich so etwas wie eine heilige Kuh. Ich würde sie auch nicht wirklich angreifen. Aber tatsächlich ist sie überholt", meinte die EU-Abgeordnete der Neos, Angelika Mlinar. Die Neos wollen die Auflösung Österreichs in eine "Republik Europa" mitsamt einer EU-Armee - ähnlich wie der von den Grünen getragene Bundespräsident Alexander Van der Bellen.