Vier Jahre nach Winter-Olympia in Sotschi findet auch die 21. Fußballweltmeisterschaft in Russland statt. Erstmals. Putin-Kritiker betrachten den Event als Werbeveranstaltung für den russischen Präsidenten. Sowohl die Eröffnung am 14. Juni als auch das Endspiel am 15. Juli findet im 80.000 Zuschauer fassenden Luschniki-Stadion von Moskau statt. Putin hat veranlasst, dass die WM ein großes Fest wird. alles-roger?-Kolumnist und -Fußballexperte Peter Linden bringt eine Übersicht, was Freunde der "schönsten Nebensache der Welt" erwartet.
Staatschef Putin hat die Sicherheitskräfte bereits angewiesen, im Umgang mit den vielen Fans korrekt und feinfühlig zu handeln. Putin wird in Sachen Sicherheit alle Register ziehen, damit es eine Vorzeige-WM ohne Störungen wird. Ein Hochsicherheitstrakt, den keiner bemerken wird. So wie in Sotschi. Das Verkehrsministerium bietet Sonderzüge von Moskau zu besonders günstigen Konditionen an. Es ist ja nicht ohne, so weit zu reisen. Die WM wird als die mit den weiten Distanzen in Erinnerung bleiben. Von der nördlichsten Stadt der elf Spielorte (St. Petersburg) sind es 1.923 Kilometer in die südlichste (Sotschi), zwischen der westlichsten (Kaliningrad) und der östlichsten (Jekaterinburg, das Tor nach Sibirien) liegen vier Zeitzonen.
Aufregung beim ORF
Das sorgte sogar in Wien am Küniglberg für einige Aufregung: Wegen einer anonymen Anzeige wurde das Arbeitsinspektorat beim ORF vorstellig. Weil die geplanten Einsatzzeiten der Kommentatoren und Redakteure nicht den Gesetzen entsprachen, zu lang ausfielen. Daher rauchten die Köpfe, mussten alle Einsatz-und Dienstpläne neu ausgearbeitet werden, damit der Kelch, einige WM-Spiele nicht live vor Ort übertragen zu können, sondern vom Küniglberg, vorbeiging.
Was wird die durch elf neue Stadien bisher teuerste WM Neues bringen? In Kasan können Stadionbesucher Spiele erstmals live vom Hotelbett aus verfolgen. Mit Direktzugang zur Tribüne kostet der Spaß zwischen 1.500 und 4.000 Euro. In der Osttribüne beherbergt das Stadion nämlich ein Hotel.
Erstmals mit Videobeweis
Es wird auch die erste WM mit Videobeweis sein. Um den es in seiner ersten Saison in der deutschen Bundesliga einige Aufregungen gegeben hatte. Aber FIFA-Präsident Gianni Infantino setzte das durch. Also werden im "Video-Operation Room" des Moskauer Match-Centers vier Videoassistenten eingesetzt. 13 Schiedsrichter wurden nur als Videoassistenten nominiert. Neun aus Europa, je einer aus Bolivien, Katar, Argentinien und Brasilien. Englisch ist die offizielle Amtssprache. Aber wenn ein chilenischer Referee mit dem Videoassistenten aus Katar kommunizieren wird, eröffnet das unter Garantie Raum für Missverständnisse. Anders als in Deutschland, steht den Videoassistenten eine kalibrierte Abseitslinie auf ihren TV-Schirmen zur Verfügung, sollen auf den Anzeigetafeln in den Stadien Grafiken eingespielt werden, die alle Video-Entscheidungen erklären sollen. Und wird den Kommentatoren von Fernsehen und Rundfunk auch der Funkverkehr zwischen Referee und Videoassistent in Moskau überspielt. Eine neue Transparenz. Einen Schiedsrichterskandal gab's bereits einen Monat vor dem WM-Start: Der Saudi Fahad al Mirdasi, der für die WM nominiert war, wurde in seiner Heimat wegen Korruptionsvorwürfen lebenslang gesperrt.
Titelverteidigung?
Erst zwei Mal gelang in der bisherigen WM-Geschichte die Titelverteidigung: Italien 1938 mit dem legendären Giuseppe Meazza. Und Brasilien 1962 in Chile mit dem gerade 21-jährigen Pele. Dieses Unternehmen scheiterte für Deutschland bisher sowohl 1958 in Schweden als auch 1978 in Argentinien (in Cordoba gegen Österreich) als auch 1994 in den USA im Viertelfinale beim 1:2 im Giants-Stadium von East Rutherford an Bulgarien, mit dem späteren Rapid-Legionär Trifon Ivanov.
Es spricht beim vierten Anlauf sehr viel dafür, dass das in Russland erstmals gelingen könnte. Die Vorbereitung spielte alle Stückeln. Vor dem Test gegen Österreich am 2. Juni in Klagenfurt bereitete sich Jogi Löws Kader in Südtirol vor, im Hotel Weinegg in Eppan. Für den 70-köpfigen Tross wurde das Fünf-Sterne-Hotel komplett erneuert. Daher erwarteten jeden der 26 Nationalspieler spezielle Wellness-Suiten mit freistehender Verwöhn-Wanne und einer finnischen Privat-Sauna. Das deutsche WM-Quartier in Russland wurde nicht, wie vor vier Jahren das Campo Bahia in Brasilien, völlig neu aus dem Boden gestampft. Im "Watutinski Hotel und Spa Complex", nur 35 Kilometer vom Luschniki-Stadion entfernt, entstand aber für den Weltmeister ein neuer Trakt mit 72 Zimmern. In der Nähe steht das komplette Trainingsgelände von ZSKA Moskau zur Verfügung.
Wer wird Superstar?
Rund 90 Prozent der verfügbaren Karten sind verkauft. Für russische Fans gab es sogar Karten ab 1.280 Rubel, das sind 18 Euro. Für ausländische Besucher kosten sie zwischen 88 Euro für ein Gruppenspiel und 920 für das Finale. Aber wer wird dort spielen? Deutschland, die wieder erstarkten Brasilianer, Argentinien mit Lionel Messi, die guten Franzosen und Belgier? Und wer kürt sich zum WM-König? Der egolaktische portugiesische Weltfußballer Cristiano Ronaldo oder doch Messi, der Brasilianer Neymar, Kylian Mbappé, Frankreichs Killer mit dem Babygesicht, oder Toni Kroos als beste Passmaschine der Welt? Der 28-jährige Deutsche ist schon jetzt einer der erfolgreichsten deutschen Fußballer aller Zeiten. 22 Pokale gewann er vor dem Champions-League-Finale mit Real Madrid in Kiew und der WM. Der Beitrag aus Österreichs Bundesliga zur Starparade: Salzburg-Legionär Hee Chan Hwang, der bei Südkorea mit Tottenham-Star Heung Min Son im Angriff geplant ist. Die letzte Vorbereitung wird für Hwang zum Salzburger Heimspiel: in Leogang!
Russlands schwere Aufgabe
Und was ist mit Veranstalter Russland, der sich im Tiroler Stubaital auf die WM vorbereitete, ehe es am 30. Mai in Innsbruck zum Test gegen Österreich kam? Dort war der Teamchef, Stani Tschertsches-sow, von 1996-2002 der Publikumsliebling im Tor mit langen schwarzen Hosen und weißen Stutzen darüber. Dreimal wurde er in Tirol Meister, beim dritten Titel war Deutschlands Weltmeisterteamchef Jogi Löw sein Trainer. Tschertschessow ist für seine herzliche Art bekannt, ebenso als Spaßvogel. Aber vor der Heim-WM ist er doch angespannt: "Viele Leute in Russlands sind gegen ihn", weiß Rashid Rachimow, Legionär in Wien bei der Austria von 1995 bis 2000.
In Gersthof wohnt der inzwischen 53-Jährige noch immer, er pendelt zwischen Wien und Moskau, wo er für den Sender Match-TV Spiele analysiert und kommentiert, auch bei der WM: "Ich sage immer, es geht nicht um Stani, sondern um Russland und den Aufstieg. Da muss man zusammenhalten." Er hält ihn trotz des Ausfalls von Torjäger Alexander Kokorin für machbar: "Wenn die Emotionen, die Organisation und die Aggressivität stimmen." Rachimow schätzt, dass Saudi-Arabien von der Startatmosphäre mit 80.000 Zuschauern überfordert sein wird. Und dann jagt ihm auch Liverpool-Star "Magic" Mohamed Salah beim zweiten Gegner Ägypten, bei dem der 45-jährige Essam El-Hadary die Nummer eins im Tor ist, keine Angst ein: "Salah kann ja nicht allein spielen. Bei Ägypten hat er keine Nebenleute wie Firmino oder Mane." Das müssten sechs Punkte sein, danach könnte man im letzten Match gegen Uruguay taktieren.
Fußball ist nicht Eishockey
"Mich fragen die Leute in Russland immer, wieso dominieren wir im Fußball nicht so wie im Eishockey", erzählt Rachimow, der in Russland bei Amkar Perm, Lok Moskau und Terek Grozny als Trainer fungierte. Seine Antwort darauf klingt stets ähnlich: "Ganz einfach, weil Eishockey nur in wenigen Nationen gespielt wird, Fußball aber auf der ganzen Welt."