2018 ist ein Gedenkjahr der Superlative: 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges wird auch Otto Wagners gedacht, des bedeutendsten Architekten der Stadt Wien. Doch sein Erbe rund um das Otto-Wagner-Spital und die Steinhofgründe im 14. Wiener Gemeindebezirk wird zerstört und der heftige Protest vieler Initiativen ignoriert.
Text: Bianca Winkler
Otto Wagner, der 1918 verstarb, prägte das Stadtbild Wiens wie kaum ein anderer. Zahlreiche U-Bahn- und S-Bahn-Stationen zeugen von seiner einmaligen Interpretation des Jugendstils und prägen genauso wie unzählige Prachtbauten in der Innenstadt bis heute das Bild der Kulturstadt Wien. Die Wiener Stadtregierung gibt ebenfalls vor, Wagner zu schätzen und rief 2018 zum Gedenkjahr für den wichtigsten Wiener Architekten aus.
Doch für viele ist das pure Heuchelei und noch viel mehr Hohn: "Während man Postkarten mit Otto Wagners Kirche am Steinhof drucken lässt, hüllt man den Mantel des Schweigens über die Zerstörung seines Meisterwerkes", erklärt Carola Röhrich von der Initiative Steinhof erhalten.
Seit 2006 kämpft sie an der Seite von Gerhard Hadinger für die öffentliche und frei zugängliche Bewahrung des Otto-Wagner-Spitals (OWS), ein prachtvolles Jugendstilensemble auf der Baumgartner Höhe. Die Kirche mit der weithin sichtbaren goldenen Kuppel ist nur eines von vielen historisch bedeutsamen Bauwerken vor Ort. "Den Ärmsten das Schönste", soll Otto Wagner selbst über diesen Bau gesagt haben, der 1907 als Niederösterreichische Landesheil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke in Betrieb ging und damals eines der modernsten und sozialsten Spitäler Europas war.
Vor allem die Ganzheitlichkeit der Anlage mit Selbstversorgungsflächen - den Steinhofgründen -, einem Bad, einer Kirche und einer Schutzmauer war revolutionär. Welch Hohn, dass zum 100. Geburtstag des OWS die Stadträtin Sonja Wehsely 2007 angelobt wurde und wenig später die Zerschlagung dieses Spitals und anderer historischer Wiener Krankenhäuser im Einklang mit dem Krankenanstaltenverbund (KAV) beschließen sollte.
Enormer Protest
Die totale Absiedelung des Spitals soll noch heuer abgeschlossen werden - trotz laufender Sanierungen an der Anlage und jedweden Fehlens eines Nachnutzungskonzeptes. Mit Blick über Wien, am Wienerwald gelegen, ist die ausgedehnte Pavillonanlage eine Ruheoase, die bis heute intensiv als Wander- und Spazierrefugium genutzt wird. Dementsprechend haben viele Wiener ein Interesse daran, die Anlage in ihrer bisherigen Form zu erhalten. Kein Wunder, dass vier Bürgerinitiativen um sie kämpfen: Aktion 21, Initiative Denkmalschutz, Steinhof erhalten und Steinhof gestalten. Doch die für Bürgerbeteiligung zuständige Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ignoriert sie alle. So wie viele andere Anliegen der Wiener und Denkmalschutz-Initiativen.
2015 zog der staatsnahe Gesundheitskonzern Vamed dort bereits einen modernen Bauklotz auf, ein privates Rehabilitationszentrum. Es ging bereits in Betrieb, die Bauarbeiten dauern immer noch an. Dies alles geschah, obwohl ein Gesamtkonzept für die weitere öffentliche Nutzung des OWS bereits 2012 in einer Mediation versprochen und dieses laut Kronen Zeitung vom 14. Jänner 2018 mit 500.000 Euro Steuergeld finanziert wurde. Offensichtlich hat die Stadtverwaltung ganz andere Pläne für die Nutzung und interessiert sich nicht für das Gesamtkonzept, das laut Mediationsergebnis die Voraussetzung für bauliche Änderungen war.
Weltkulturerbe verschandelt
Im Frühjahr 2017 wurden die unter Naturschutz stehenden Bäume am OWS gefällt und mit ein paar Monaten Verspätung begann man mit der Errichtung moderner Wohnbauten. Die Wiener Bevölkerung wurde hier durch den gemeinnützigen Bauträger Gesiba faktisch enteignet, denn bisher öffentlich zugänglicher Grund wurde in Privatfläche umgewidmet - die Gesiba kann jetzt dort mehr oder weniger machen, was sie will.
Die Bürgerinitiativen fordern einen Baustopp, doch sie werden nicht gehört. "Es wurde versprochen, dass sich die neuen Bauten zumindest in das historische Ensemble einfügen und dem Stil Otto Wagners gerecht werden", erklärt die Initiative Steinhof. "Aber, wenn die Gebäude überhaupt an einen bedeutenden Architekten erinnern, dann mehr an Hundertwasser als an Otto Wagner." Andere Anwohner und Kenner der Gegend bezeichnen es wortwörtlich als "Verbrechen", was dort passiert.
Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz spricht von einem glatten Bruch des Mediationsergebnisses: "Nur aufgrund des Gesamtkonzeptes wurde überhaupt in Erwägung gezogen, das Ost-Areal zu verbauen." Jetzt wird gebaut, obwohl es das Gesamtkonzept niemals gegeben hat. Landerer fühlt sich wie alle engagierten Bürger "vor den Kopf gestoßen". Ein Weltkulturerbe wird trotz erheblichen Bürgerprotests "verschandelt". Doch staatsnahe Medien, allen voran der ORF, verschweigen trotz eines Schwerpunkts zum Otto-Wagner-Gedenkjahr systematisch, dass sowohl die Absiedelung des Spitals als auch die Zerstörung der historischen Substanz des OWS auf massive Kritik aus der Bevölkerung stößt.
Überall am Wilhelminenberg werden von der Stadtregierung große Bauprojekte favorisiert und überall protestieren die Bürger. Die Proteste werden von Mainstreammedien gern als "Anrainerprotest" kleingeredet. Dabei hat die Initiative Steinhof 60.000 Unterschriften gesammelt und der Internationale Rat für Denkmalpflege (engl. Abkürzung ICOMOS), hat den Heritage Alert (Kulturerbe-Alarm) für das OWS ausgerufen. Es könnte den Status Weltkulturerbe haben, doch die Stadt Wien interessiert das Thema Weltkulturerbe generell nicht, wie wir in letzter Zeit lernen durften.
Wohnen, wo Kinder gequält wurden
Für Kenner der Geschichte hat die wohnliche Verbauung des OWS einen ganz besonders bitteren Beigeschmack: Dort wurden unter Heinrich Gross Humanexperimente und schließlich schwere NS-Verbrechen an unschuldigen Kindern verübt. Gross, der jahrzehntelang SPÖ-Mitglied war, ist dafür niemals zur Rechenschaft gezogen worden, aber das Kollektiv des Steuerzahlers musste für Opferentschädigungen aufkommen, wie Andreas Unterberger in seinem Blog berichtete. Die Tatorte von NS-Verbrechen sind Mahnmale, doch während die Stadt Wien innerstädtisch einen neuen Gedenkplatz nach dem anderen errichtet, lässt sie diese Gebäude, für die Öffentlichkeit unzugänglich, verfallen.