Politologe Peter Filzmaier erklärt im Interview, warum es den Parade-Gutmenschen und den Klischee-Wutbürger gar nicht gibt, was die Wähler von Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer unterscheidet, welche Hintergründe die Spaltung der Gesellschaft hat und welche Rolle die Medien spielen. Interview von Helmut Berger
Herr Filzmaier, wie würden Sie einen Gutmenschen beschreiben?
Gutmensch ist im Kampagnenzusammenhang ein Standardbegriff politischer Akteure, um Hilfsbereitschaft als naiv darzustellen. Da es sich dabei oft um rechts stehende Akteure handelt, wird im Umkehrschluss oft gefolgert, dass linksliberal denkende Menschen als Gutmenschen bezeichnet werden. Ganz schlüssig ist das nicht immer, denn oft werden in kirchlichen Hilfsorganisationen tätige Menschen damit gemeint, und die katholische Kirche ist sicher mehr konservativ-rechts einzuordnen.
Ist der Begriff Wutbürger klarer zu definieren?
Wutbürger ist aus meiner Sicht noch viel mehr journalistisch geprägt, womit zugegeben ursprünglich durchaus von der Politik enttäuschte Menschen aus dem Bürgertum gemeint waren. Insofern ist es verlockend, hier eine rechte Gruppe zu konstruieren, die den linken Gutmenschen gegenübersteht. Ich wäre da ebenfalls skeptisch, ob das ideologisch so klar ist. Viele der bürgerlichen Wutbürger haben beispielsweise in Grazer Gemeinderatswahlen die KPÖ gewählt.
Folgendes Sonderangebot wurde exklusiv für Sie ausgesucht:
Alles roger? ist durch Click-Provision beteiligt.
Bei der Bundespräsidentenwahl stehen sich zwei Kandidaten gegenüber, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Inwiefern polarisiert das?
Einer klaren Mehrheit der Wähler war es zumindest irgendwie auch wichtig, den Gegenkandidaten zu verhindern. Hätten nur solche gewählt, die eine positive Entwicklung Österreichs erwarten, so wäre Hofer eine Zweidrittelmehrheit gelungen. Umgekehrt war es ähnlich. Im Vergleich zu den Anhängern Van der Bellens befürchten rund doppelt so viele Hoferwähler ganz persönlich eine Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Wir haben also eine Trennlinie zwischen Pessimisten und Optimisten. Generell sehen Millionen Wähler im absoluten Widerspruch zueinander unser Land entweder auf einem richtigen oder falschen Weg. Da leben riesige Gruppen geografisch Tür an Tür und trotzdem gedanklich nicht im gleichen Universum. So widersprüchlich sind die Meinungen.
Nach der Wien-Wahl haben Meinungsforscher drei Gruppen von Wählern festgelegt: die generell Aufnahmebereiten, die kontrolliert Aufnahmebereiten und die Restriktiven? Gehören die meisten Menschen zu den generell Aufnahmebereiten?
Zunächst einmal ist das Pro-blem, dass in der politischen Diskussion diese wissenschaftliche Einteilung und die sehr berechtigte Frage oft keinen Platz finden. Da werden Menschen mit anderen Meinungen von der jeweiligen Gegenseite oft als weltfremde Helfer oder radikale Hetzer abgestempelt. Dazwischen gibt es für manche Politiker nichts, obwohl die Mehrheit der Wiener weder allzu sehr hilft, noch zur Gewalt gegen Asylsuchende aufruft. Die Gruppe der kontrolliert Aufnahmebereiten ist sicher der mit Abstand größte Teil und, wenn Sie so wollen, typisch wienerisch. Es gibt durchaus das ,goldene Wienerherz?, nur allzu große Veränderungen soll man ihm nicht abverlangen.
Trotzdem hat man den Eindruck, dass sich die Menschen bei jeder Gelegenheit bekämpfen. Sind die Ideologien wirklich so weit voneinander entfernt?
Richtig ist, dass es bei diesem Thema immer öfter zu einer Schwarz-Weiß-Malerei kommt, was freilich nicht bloß für Politiker, sondern mindestens ebenso für ihre Wähler gilt. In Vergessenheit gerät, dass auch Andersdenkende teilweise recht haben können und die Wahrheit oft in der Mitte liegt. Diese Polarisierung macht demokratiepolitisch Sorge. Ich wäre nur nicht so sicher, ob das an einer Re-Ideologisierung liegt. Gleichzeitig wird ja gerade Parteien als Gesinnungsgemeinschaften vorgeworfen, dass sie beliebig und populistisch agieren. Gründe könnten also genauso die Entwicklung der Mediengesellschaft, fehlende Grundwerte in der Politik oder, was am allerschlimmsten wäre, ein fehlender Basiskonsens in unserer Demokratie und politischen Kommunikationsformen sein. Vielleicht ist es auch eine Mischung all dieser Dinge.
Wie kann man das Problem lösen?
Wenn ich da eine einfache Lösung wüsste, wäre ich glücklich, nur ist es leider nicht so. Die einzige Standardantwort, welche ich habe, ist der Verweis auf die Bedeutung politischer Bildungsarbeit, um so den Basiskonsens zu sichern und auch bei Themen mit unterschiedlichen Meinungen eine Versachlichung der Debatte zu erreichen.
Die FPÖ wirft anderen Parteien vor, sie auszuschließen. Kann es zu einer Annäherung der gegenüberliegenden Seiten beitragen, wenn man die FPÖ mehr einbezieht?
Wenn man wirklich nicht einmal mehr miteinander spricht, und sich irgendjemand überhaupt keine Ansicht eines FPÖ-Politikers auch nur anhört, dann gebe ich dieser Kritik recht und würde allen anderen Parteien dringend anraten, das sofort zu ändern. Umgekehrt hat jede Partei das Recht zu einer klaren Festlegung, mit wem man koalieren oder nicht koalieren würde. Ideologie- und Strategieebene werden in der Diskussion ständig vermischt. Die FPÖ muss sich ja genauso den Vorwurf gefallen lassen, mit dem höchstens halbwahren Kampfbegriff einer Ausgrenzung bloß ihre Wähler mobilisieren zu wollen, obwohl man ja in vier Bundesländern - neben den Koalitionen in Oberösterreich und Burgenland auch im niederösterreichischen und kärntnerischen Proporzsystem - Teil der Regierung ist.
Welche Rolle spielen die Medien? Und kann man überhaupt noch über Politik berichten, ohne zu polarisieren?
Natürlich, ebenfalls möglichst sachlich und trotzdem nicht diskutierbare Dinge wie Menschenrechte außer Streit stellend. Nur wird das immer schwieriger. Medien, welche über das Thema berichten, werden je nach Standpunkt vor allem in Internetforen als angeblich alles beschönigende Lügenpresse oder den Hass förderndes Schmierblatt verunglimpft. Beides manchmal von Leuten, die frank und frei zugeben, den betreffenden Artikel gar nicht gelesen zu haben. Auch da fällt mir nur die Langzeitlösung einer besseren Medienbildung ein. Hinzu kommt, dass neue Medien zwar nicht schuld sind - sie sind bloß ein Kommunikationswerkzeug, schuld sind wir selber -, doch tragen sie zur Polarisierung bei. In den Teilöffentlichkeiten des Internets bastelt sich jeder die eigene Wirklichkeit. In Facebook, Twitter und Co liest man nur, was Freunde und Getreue einem mitteilen. Eine umfassende Meinungsbildung bleibt oft aus.
Denken Sie, dass sich die Lage etwa nach der Bundespräsidentenwahl beruhigen wird?
Es mag eine vorübergehende und/oder auf das Amt des Bundespräsidenten bezogene Beruhigung geben, doch haben wir ja die ganze Zeit über die gesellschaftliche Polarisierung als solche gesprochen. Gibt es diese, so wird sie auch weiterhin da sein, unabhängig von einem Wahlergebnis. Jeder Präsident wäre auch überfordert, da gegenzusteuern, er kann höchstens hoffen, durch sein Amtsverständnis symbolische Wirkungskraft zu entfalten.