Beichte 2.0. Sünder müssen heutzutage nicht mehr in die Kirche gehen und einem Priester erzählen, was sie angestellt haben, um ihr Gewissen zu erleichtern. Dafür gibt es, Gott sei Dank, das Internet. Auch wenn man sich keine Absolution erwarten darf, die Online-Beichten sind beliebt. Und die Sünden meistens unterhaltsam, oft skurril und manchmal schockierend.
Text: Helmut Berger
Herr, ich habe gesündigt. Meine letzte Beichte liegt schon so lange zurück, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann. Seitdem habe ich jede der sieben Todsünden begangen. Ich war hochmütig, geizig, wollüstig, zornig, maßlos, neidisch und manchmal auch faul. Ich habe außerdem gegen sieben der zehn Gebote verstoßen. Mindestens. Und überhaupt habe ich so viele Sünden begangen, dass ich gar nicht alle aufzählen kann. Deshalb bitte ich dich, oh Herr, um eine pauschale Absolution. Danke.
Das nur so als Beispiel.
Gott ist jetzt online
Jetzt nur noch den Ort des Geschehens bekanntgeben. Wien. Drei Hashtags auswählen. Lügen, Maßlosigkeit, Zorn. Die Regeln akzeptieren. Und auf das rote Feld klicken, in dem steht: "Ja, ich möchte meine Beichte ablegen. Herr, ich habe gesündigt. Bitte vergib mir." Und ruckzuck fühlt man sich von all seinen Sünden befreit. Auch wenn man es nicht ist. Denn die Online-Beichte ist natürlich keine richtige Beichte. Aber sie ist praktisch und schnell erledigt. Keine Kirche. Kein Beichtstuhl. Kein Priester. Keine Gebete. Man braucht nur einen Computer, ein Smartphone oder ein Tablet mit Internetverbindung. Halleluja. Seine Sünden kann man etwa im Beichthaus (www.beichthaus.com) loswerden. Hier darf man nicht nur von den eigenen Schandtaten berichten wie bei www.beichten.at oder www.onlinebeichte.net, sondern auch die Vergehen anderer Nutzer lesen und sie kommentieren.
Anonyme Sünder und ihre Geschichten
Da erzählt zum Beispiel jemand, dass er manchmal in die Teekanne seines Chefs pinkelt. Ein anderer schreibt: "Ich bin Busfahrer und spreche mit Absicht die Namen der Haltestellen falsch und undeutlich aus." Viele Menschen gestehen sexuelle Sünden. Eine Auszubildende zur Restaurantfachfrau, die auch im Hotel lebt, meint: "Jeder treibt es mit jedem - manche mehr, manche weniger. Ich gehöre zu denen, die es häufger machen." Ein Zwilling berichtet, dass er sich eine Frau mit seinem Bruder teilt, ohne dass sie etwas davon weiß. Manche gehen fremd, andere masturbieren in fremden Betten oder mit Gemüse.
Einige Vergehen sind schon verjährt: "Ich möchte beichten, dass ich als dreijähriger Pimpf im Urlaub in Österreich ins Loch einer Minigolfbahn geschissen habe." Immerhin entschuldigt sich der Sünder noch beim Platzwart. Auch gemein: "Ich war Telefonjoker bei Wer wird Millionär? und habe absichtlich etwas Falsches gesagt, damit der Blödmann die 16.000 Euro nicht gewinnt." Sehr ernst und schockierend wird es, wenn man sich die Sünden in anderen Kategorien durchliest. Da geht es dann zum Beispiel um Drogenexzesse, um Gewalt in der Ehe, um Vergewaltigungen und um Schwangerschaftsabbrüche.
Die Appsolution
Will man seine Sünden nicht mit der ganzen Welt teilen und trotzdem online die Beichte ablegen, kann man das auf www.beichte.de. Hier muss man nur an die Sünde denken und zwei Kästchen anklicken. Erstens: "Vorsatz - Ich habe den Vorsatz, mein Verhalten wieder gut zu machen und mich zu bessern." Und zweitens: "Reue - Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, o Herr." Danach klickt man auf einen Button, auf dem steht: "Ich habe gesündigt und bereue." Und zack, erscheint auch schon das Vaterunser. Sehr praktisch. Hartmut Landwehr, der Betreiber der Seite, hat zugegeben, dass er die Vergebung der Sünden nicht selbst in die Wege leiten kann. "Aber die Leute sitzen dann vor dem Apparat und denken darüber nach, was sie alles getan haben. Und so wird der Herr ihnen wohl vergeben." Ganz sicher.
Sehr beliebt sind auch Apps für Smartphones. Beichte 2.0 zum Beispiel. Hier kann man nicht nur die eigenen Sünden loswerden und die anderer Menschen lesen und kommentieren, man kann auch noch auf "VERGEBEN" oder auf "BESTRAFEN" klicken. Und ein bisschen Gott spielen. Dass eine Beichte so nicht funktioniert, scheint den Usern egal zu sein. Selbst der Erfinder von Beichthaus.com, ein Herr namens Robert Neuendorf hat eingeräumt: "Die Beichte im Internet kann ein persönliches Gespräch mit einem Priester nur schwer ersetzen." Schon vor Jahren hat Neuendorf übrigens ein Buch veröffentlicht. Es heißt: "Als ich meine Mutter im Sexshop traf: Die intimsten und peinlichsten Beichten der Welt." Und die stammen natürlich alle von Beichthaus.com.
Ohne Priester keine Beichte
Eine offizelle Online-Beichtseite der Kirche gibt es natürlich nicht. Menschen, die im Internet ihre Sünden loswerden, dürfen sich also keine göttliche Vergebung erwarten. Aber das tun vermutlich ohnehin die wenigsten. Die einen denken sich Geschichten aus und machen sich
einen Spaß daraus. Die anderen stellen sich an den virtuellen Pranger, um ihr Gewissen zu erleichtern. Und viele lesen die Sünden anderer, um sich selbst besser zu fühlen. Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde das Internet.
Amen.