Grenzkontrollen am Brenner? No! Der Aufschrei von italienischer Seite hallte von den Alpen bis nach Brüssel. Medial wurde die Ankündigung zu einem Staatsakt aufgebauscht. Seitens der EU erhob man den Zeigefinger. Krisenstimmung zwischen Italien und Österreich. Dass Deutschland an der österreichischen Grenze kontrolliert, stört aber niemanden. alles roger? weiß warum.
Text: Martina Bauer
Im Zug nach München. Grenzkontrollen der Deutschen. „Da schau her“, sagt eine Passagierin namens Charlotte, „das wusste ich gar nicht“. Nicht nur für sie war es neu, dass unsere Nachbarn die Grenzen kontrollieren. Davon bekommt man auch nur etwas mit, wenn man selbst nach Deutschland reist oder jedes Wort vom Verkehrsfunk auswendig kann.
In unseren Medien war und ist das kein Großereignis. Die Einführung dieser Maßnahmen ging still und unaufgeregt über die Bühne. Viele Betroffene waren höchst erstaunt, dass Deutschland seine Grenze zu Österreich kontrolliert. Für unsere Kontrollen zu Slowenien und Ungarn wurden wir von Kanzlerin Merkel stets gerügt. Grenzen sichern im Schengen-Raum – das gefällt „Angela Almighty“ gar nicht. Und auch seitens der EU gibt es dafür nicht allzu viel Verständnis.
Nun hat Österreich angekündigt, im Ernstfall auch seine Grenze zu Italien zu kontrollieren. Absperrungen, Leit- und Info-System. Die sogenannten baulichen Maßnahmen stehen am Brenner-Pass bereit. Für die Italiener sind sie eine gefährliche Drohung. Für die Österreicher eine Sicherheitsmaßnahme. Wieder waren missfällige Töne aus der EU zu vernehmen. Italien polterte gleich drauf los. Allen voran die Südtiroler.
Sie sehen sich schon als das italienische Idomeni. Experten befürchten durch die österreichische Abschottungspolitik einen Milliardenschaden für die Südtiroler Wirtschaft. Und Reinhold Messner, der wohl berühmteste Südtiroler, bemüht die Emotionalität der Geschichte. „Ich will nicht hinnehmen, dass auf 1.370 Metern Höhe eine neue Grenze entsteht“, sagt der 8.000er-Bezwinger und erinnert daran, dass vor fast hundert Jahren Tirol geteilt wurde. Der Brenner wurde als Unrechtsgrenze angesehen. Das Schengener Abkommen hat die Südtiroler mit ihrem Schicksal einigermaßen versöhnt. Nun sehen sie diese Errungenschaft in Gefahr.
Die Aufschreie waren nicht zu überhören. Verstanden hat sie kaum jemand. Es ist auch schwer nachvollziehbar, warum das Geburtsland der Willkommenskultur, also Deutschland, seine Grenzen zu Österreich anstandslos kontrollieren darf. Es aber scheinbar ganz schrecklich ist, wenn man in unserem Land laut darüber nachdenkt, das Gleiche am Brenner zu tun. Die Höhenlage kann den Unterschied ja nicht ausmachen.
„Frau Merkel war es doch, die im vergangenen Sommer großzügig eingeladen hat“, sagt ein aufgebrachter Autofahrer, der kürzlich wegen der deutschen Grenzkontrollen im Stau steckte. „Seither haben sich Hunderttausende Menschen auf den Weg gemacht, und sie tun es noch. Jetzt wäre es fein, wenn Österreich die Flüchtlinge über die italienische Grenze geleitet. Sie aber keinesfalls nach Deutschland weiterschicken darf. Das verstehe, wer will. Ich nicht! Vielleicht wird in der EU mit zweierlei Maß gemessen.“
Mitnichten. Alle Kontrollen innerhalb des Schengen-Raums sind der EU ein Dorn im Auge. „Die Kommission ist darüber not amused und war auch im Fall von Deutschland konsterniert. Den Aufschrei gab es eher medial, weil die Italiener jetzt lauter waren als wir damals bei Deutschland“, erklärt EU-Pressereferentin Huberta Heinzel. In Brüssel sieht man das Schengener Abkommen als großes Plus, das eingehalten werden soll. Jedes Aussetzen ist ein Schlag. Seitens der EU bemüht man sich um mehr Verträge mit sicheren Drittstaaten und möglichst unkomplizierte Rücknahmen von Flüchtlingen, die keine Chance auf ein Bleiberecht haben.
Noch fällt das aber unter „Wünsch dir was“ und hat nichts mit der Realität zu tun. Die sieht so aus, dass derzeit – laut Innenministerium – pro Tag rund 20 Flüchtlinge über den Brenner kommen. Das sind jetzt noch keine alarmierenden Zahlen. Momentan setzt das BMI auf Schleierfahndung im Hinterland. 80 Beamte sind dort unterwegs, um illegale Grenzgänger aufzustöbern.
Sollte der Zustrom ansteigen, kann das Innenministerium sofort reagieren und die Grenzen durch Kontrollen dichtmachen. Anmeldung bei der EU genügt. Zwei Monate darf man ab der Erst-aktivierung die Sicherheitsmaßnahmen aufrechterhalten. Danach muss in Brüssel um Verlängerung angesucht werden. Gerüstet ist man. Derzeit beschränken sich die Kontrollen noch aufs Observieren. „Wir beobachten die Flüchtlingsströme in Italien. Sollte es da massive Veränderungen geben, können wir jederzeit reagieren“, sagt BMI-Pressesprecher Karl-Heinz Grundböck.
Das wird den Südtirolern nicht schmecken. Sie wollen nicht das Abstellgleis für Flüchtlinge werden. Österreich aber auch nicht. Und solange die Deutschen ihre Grenzen zu Österreich kontrollieren, wäre genau das der Fall. Die Parole „Wir schaffen das“ ist leicht dahingeschmettert, wenn man die Verantwortung auf andere abwälzt.