Am 24. September wählt Deutschland und alles sieht nach einem Kantersieg von Angela Merkel und ihrer CDU aus. Eigentlich unbegreiflich. Hat die Dame doch Europa mit ihrer Flüchtlingspolitik in Chaos und Terror gestürzt. Fakt ist: Es fehlen die Alternativen. Nach vielen Anfragen ist der SPD-Kommunalpolitiker aus Nordrhein-Westfalen Karsten Koch alles roger? Rede und Antwort gestanden - und ging mit seiner Partei ehrlich ins Gericht.
Text: Roland Hofbauer
Herr Koch, eine harte Frage zum Auftakt: Ist die SPD am Ende?
Nein, sicher nicht, aber zur Zeit verkauft sich die SPD unter ihrem Wert. Wir haben mit Martin Schulz zu Beginn des Jahres einen regelrechten Hype ausgelöst und eine echte Alternative zu Frau Merkel gezeigt. Dieser Hype ist leider schnell verpufft, weil keine inhaltliche Substanz nachgelegt wurde. Die Menschen wollen eine Alternative zu Merkel, sie wollen aber auch wissen, worin diese inhaltlich besteht. Was ist das Programm und wie sehen Antworten auf wichtige Fragen aus? Angesichts der unaufhaltsam steigenden Meinungsumfragen nach jahrelangem Niedergang wurde in der SPD nur noch gefeiert, statt die Euphorie mit einem klaren Kurs zu untermauern. Das reicht ganz offenkundig nicht. Jetzt muss endlich geliefert werden.
Hat die SPD denn überhaupt kein echtes Programm für den Wahlkampf?
Doch natürlich, auch in der Koalition hat sie vieles erreicht. Die Frage ist nur, was wird der SPD auch zugerechnet und was heftet sich die CDU auf die eigene Fahne? Vieles, was bei den Wählern gut ankommt, hat einen sozialdemokratischen Ursprung, nur wird das nicht wahrgenommen. Bei der SPD erwarten die Medien und die Wähler immer einen kompletten lückenlosen Plan, eine Lösung für alles; bei der CDU fragt keiner nach. Wenn hier mal ein Hauch einer Idee präsentiert wird, ist das schon nobelpreisverdächtig.
Was müsste sich denn bei der SPD ändern, um wieder Erfolg zu haben?
Man muss die Frage klären: Wofür steht die SPD und was sind die Zukunftsperspektiven? Nostalgie wird nicht gewählt. Wir haben die richtigen Themen, aber wir müssen diese auch an den Mann und an die Frau bringen. Zudem muss sich die SPD dringend personell erneuern, es gibt viel zu viele verbrauchte Gesichter. Mitunter hat man den Eindruck, dass man bereits die Antwort kennt, bevor überhaupt die Frage gestellt wurde. Wir brauchen frischen Wind. Uns fehlt eine ganze Generation, die heute erfolgreich im Beruf ist und sich dennoch Sorgen um die Zukunft der eigenen Familie macht. Die SPD darf nicht nur Reparaturbetrieb für sozial schwächere Menschen sein, sondern muss auch eine politische Heimat für erfolgreiche und hart arbeitende Menschen bieten.
Warum wird denn eine Frau Merkel wiedergewählt, obwohl sehr viele mit ihrer Politik unzufrieden sind?
Das frage ich mich auch. In Zeiten, in denen man nicht weiß, wo es hingeht, klammert sich die Bevölkerung offensichtlich an das Vertraute. Sie kennen mich ja, wie die Kanzlerin so schön gesagt hat. Das Prinzip Merkel funktioniert nach meiner Überzeugung aber nur so lange, bis es eine echte Alternative gibt. Die Stärke von Frau Merkel ist die Schwäche der SPD.
Was sagen Sie denn zu dem Problem mit den Flüchtlingen, wurde hier richtig reagiert?
Deutschland hat hier sehr viel getan und geholfen. Ob es falsch oder richtig war, muss jeder für sich selbst beantworten. Nach meiner Überzeugung müssen wir helfen, und das sieht auch eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung so. Fakt ist aber auch, dass man nicht jedes Jahr über eine Million Menschen aufnehmen kann. Das überfordert sogar die hilfsbereiten Deutschen. Es muss ja im Hinblick auf die Unterbringung und die gesellschaftliche Integration auch schaffbar sein. Nun hat sich der Zuzug von Flüchtlingen spürbar reduziert, was weniger an Frau Merkel als an der Intervention von Ungarn und Österreich liegt. Das ist wie in der Koalition: Die einen schuften und Frau Merkel glänzt.
Was halten Sie denn von der EU generell?
Die EU muss sein, es gibt für Europa ohne sie keine Perspektive. Die Frage ist aber, ob man wirklich alles in Brüssel regeln muss. Das ist mittlerweile ein unglaublich großer Apparat, der sehr schwer zu durchschauen ist. Hier sind die Strukturen oftmals zu wenig transparent. Ich verteidige die Europäische Union, aber nicht die europäische Bürokratie. Vielleicht sollten wir die Europäische Kommission abschaffen.
Reagieren die Politiker am Volk vorbei?
Die Frage ist doch: Was will das Volk? Alle sind unzufrieden und keiner kann dir genau sagen, was er eigentlich will. Irgendwie soll alles so bleiben, wie es ist, bloß keine Veränderungen. Die Welt dreht sich immer schneller und niemand wird das aufhalten können. Vielleicht brauchen wir ja nicht nur neue Politiker, sondern auch ein neues Volk. Aber Scherz beiseite: Politiker müssen verlässlicher sein, sich an Versprechen halten und wahrhaftig sein. Sagen, was man tut und tun, was man sagt. Und nicht jeden Tag über ein Stöckchen springen, das einem irgendwer vorhält.
Was halten Sie denn von dem Schweizer Modell und einer direkten Demokratie?
Wir sind in Deutschland so demokratisch gefestigt, dass wir ganz sicher mehr direkte Demokratie zulassen können. Parlamentswahlen alleine reichen in einer aufgeklärten Demokratie nicht mehr aus. Aber direkte Demokratie ist sicher nicht immer und überall möglich. Wie man gerade in der Türkei mitbekommt, soll über die Todesstrafe abgestimmt werden und da sieht man: Man darf das Volk nicht über alles entscheiden lassen.
Was sagen Sie für die Wahl im September in Deutschland für die SPD voraus?
Stimmungen sind noch keine Stimmen, das Rennen ist absolut offen. Martin Schulz muss Frau Merkel jetzt jagen, dann wird er auch Kanzler.