Matthias Gold zählt zu den bekanntesten Trainern Österreichs unter jenen, die WingTsun unterrichten. Bei dieser Kampfsportart geht es um Bedrohungen im Alltag. Wir sprachen mit ihm über das Thema Selbstverteidigung für Kinder, über die traurige Notwendigkeit seiner Kurse und durften beim Training Mäuschen spielen.
Interview: Roland Hofbauer
Was ist WingTsun, wie würden Sie das in drei Sätzen erklären?
WingTsun ist eine chinesische Kampfkunst, spezialisiert auf realistische Bedrohungen im Alltag. WingTsun ist Selbstverteidigung, die auf Erfahrung aus Jahrhunderten zurückgreift und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt. Durch Training wird Körperbewusstsein entwickelt, um Kraft und Energie für den Alltag zu schöpfen.
Wie geeignet ist das Training zur Selbstverteidigung bei Kindern?
Das EWTO (Europäische WingTsun Organisation)-KidsWT-Konzept wurde in Zusammenarbeit mit Kinderpädagogen und Entwicklungspsychologen erarbeitet und ist genau auf die Altersklassen der Kinder zugeschnitten. Es ist kein Selbstverteidigungsprogramm, sondern ein Bewegungsangebot mit Schwerpunkt Selbstbehauptung. Ziel ist es, jungen Menschen dabei zu helfen, zu aufrechten und willensstarken Individuen zu werden - und dabei Spaß zu haben. Spielerisch sollen Kinder lernen, sich in der Welt zurechtzufinden, sich zu positionieren und sich und anderen in schwierigen Situationen zu helfen.
Das Programm hat eine vielseitige Struktur, hinter der die traditionsreiche und komplexe Philosophie des WingTsun steckt, die mit neuesten Erkenntnissen aus Pädagogik, Medizin oder Kinesiologie aufbereitet wird. Die teils konkreten, teils abstrakten Unterrichtsinhalte werden mithilfe von Spielen, Übungen und Wettbewerben kindgerecht und einfach umgesetzt, was sich an den schnellen Fortschritten der Schüler bemerkbar macht. Eltern, die sich entscheiden, ihr Kind an Kids-WingTsun teilnehmen zu lassen, werden umgehend feststellen, dass ihr Kind Selbstvertrauen entwickelt und dennoch freundlich und höflich seinen Mitmenschen begegnet. Insgesamt ist Kids-WingTsun ein Bewegungsangebot in einer Vielschichtigkeit, die nur von wenigen anderen Angeboten geleistet werden kann. Es ist Teil eines Grundgedankens, der einen ein Leben lang begleiten kann.
Sehen Sie die Entwicklungen von Gewalt an Schulen als besorgniserregend?
Die Gewalt, schon bei den Jüngsten, ist medial in aller Munde. Ich glaube, die Ursachen dafür sind facettenreich. Gewalt ist oft ein Ventil für Ratlosigkeit oder das Erlangen von Aufmerksamkeit. Die Kinder von heute wachsen in einer Zeit auf, in der der Druck auf die Gesellschaft sehr groß ist. Umso wichtiger ist es, ein stabiles Selbstbewusstsein zu entwickeln. Es lauern in jungen Jahren einige Gefahren, abgesehen von körperlicher Gewalt, auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Dafür ist es auch ganz wichtig, "Nein" sagen zu lernen und genau zu wissen, was man will und noch wichtiger, was man nicht will. Das wird in der Selbstverteidigung sehr gut geschult.
Kann man sich mit dieser Kampfkunst auch gegen Messerattacken verteidigen?
Wir befassen uns als alltagstaugliche Selbstverteidigung selbstverständlich mit diesem Thema. Nur muss man vorwegschicken, dass man ohne Übung einem Messerangriff nur schwer entgegentreten kann. Und selbst nach jahrelangem Training gilt das Motto: "Das Weg" ist das Ziel! Wir bringen unseren Schülern in der EWTO bei, ein Zeitfenster zur Flucht zu erarbeiten. Die wichtige Fähigkeit hierfür ist die Achtsamkeit. Der wird im Training sehr viel Zeit gewidmet. Dabei steht im Vordergrund, gefährliche Situationen im Vorfeld zu erkennen und entweder im Ansatz zu beenden oder, noch besser, zu vermeiden.
Wie sehen Sie die zunehmende Gewaltbereitschaft in Österreich, was kann man dagegen tun, wie kann man sich schützen?
Der Anschein macht mir auch Sorgen. Wichtig für jeden ist, ich wiederhole mich, die Achtsamkeit. Wir haben Hunderte von Schlägereien analysiert. Der überwiegende Anteil davon ist aufgrund von nicht vorhandener Achtsamkeit zustande gekommen. Man kann was für die eigene Sicherheit machen, indem man sich fit macht. Nicht nur technisch für einen Kampf, sondern auch körperlich. Damit verbunden ist speziell im WingTsun auch noch ein gesundheitlicher Nutzen. Jede Bewegung erfüllt eine Funktion im Kampf und dient der Gesundheit. Durch körperliches Training fühlt man sich wohler, leistungsfähiger und auch ausgeglichener. Entspannte Menschen neigen eher nicht zur Gewalt.
Ab welchem Alter sind Kinder für dieses Training geeignet, welche Intensität empfehlen Sie?
Die meisten EWTO-Schulen bieten Training für Kinder und Jugendliche in zwei oder drei Altersklassen an. Wir haben Klassen für Drei- bis Fünfjährige, Sechs- bis Zehnjährige und Elf- bis Vierzehnjährige. Danach geht's in die Erwachsenenklassen. Bei Kindern und Jugendlichen empfehle ich einmal pro Woche, wir bieten aber auch die Möglichkeit, dass sie zweimal trainieren können, wenn es gewünscht wird. Wir bieten allen Interessenten - Kindern wie Erwachsenen - ein kostenfreies Probetraining an. EWTO-Schulen zeichnen sich durch ein umfangreiches Unterrichtsangebot aus, da die meisten Profischulen sind.