Auf dem Weg zu einer neuen Kultur Voneinander lernen - miteinander wachsen

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Um die Probleme der heutigen Zeit zu bewältigen, ist ein Umdenken im Kopf notwendig, erklärt Gerald Hüther in einem Gast­kommentar für alles roger?. Der bekannte Neurobiologe, Sachbuchautor und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung befasst sich im Rahmen verschiedener Initiativen und Projekte mit neurobiologischer Präventionsforschung. In diesem Artikel stellt er Wege vor, wie Städte und Gemeinden zukunftsfähig werden können.


Nicht nur die Wirtschaft, auch Städte und Gemeinden erleben gegenwärtig, dass man in einer Welt begrenzter Ressourcen nicht unbegrenzt weiterwachsen kann. Albert Einstein hatte zwar schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass sich die Probleme, die wir mit bestimmten Strategien und Denkmustern erzeugt haben, nicht mit denselben Denk- und Vorgehensweisen beheben lassen.

Dennoch lautet die vorherrschende Devise zur Bekämpfung der inzwischen auf allen Ebenen unserer gesellschaftlichen Entwicklung zutage tretenden Schwierigkeiten: noch mehr vom Alten. Noch mehr Vorschriften, noch mehr Kontrolle, noch mehr Einsparungen bei gleichzeitiger Forderung nach noch mehr Wachstum.

So werden sich die Probleme unseres Bildungssystems, unseres Gesundheitssystems, unserer sozialen Absicherungssysteme, unseres Finanzsystems und unseres politischen Systems nicht beheben lassen. Kommunen werden immer stärker unter finanziellen Druck geraten, vor allem jüngere Bürger werden weiter abwandern, die medizinische Versorgung wird immer stärker ausgedünnt, Schulen und Kindergärten werden geschlossen, Vereine gehen an Nachwuchsmangel zugrunde und für ältere Menschen wird das Leben in solchen Kommunen immer schwieriger. Eine Lösung für all diese Probleme ist nicht in Sicht. Das Umdenken fällt uns offenbar schwerer, als das Albert Einstein gehofft hat.

 Potenziale entfalten

Dieses Umdenken beginnt im Kopf. Und in der Tat hat unser Gehirn längst eine Lösung gefunden, um trotz des durch die Schädeldecke begrenzten Wachstums weiterwachsen und sich zeitlebens weiterentwickeln zu können. Nicht durch Vermehrung der Anzahl an Nervenzellen, sondern durch Intensivierung, Ausweitung und Verbesserung ihrer Verknüpfungen, also durch fortwährende Optimierung der Beziehungen zwischen den Nervenzellen.

Auf Kommunen übertragen heißt das: Weiterentwicklung, Entfaltung der in einer Gemeinschaft angelegten Potenziale und damit auch echtes Wachstum sind zu jedem Zeitpunkt kommunaler Entwicklung möglich. Aber nicht durch mehr Einwohner, mehr Gewerbetreibende, mehr Kinder oder gar mehr Geld, sondern durch eine günstigere Art des Umgangs miteinander, durch intensivere, einander unterstützende, einander einladende, ermutigende und inspirierende Beziehungen aller in einer Gemeinde oder einer Stadt lebenden Bürger.

Was Kommunen also brauchen, um zukunftsfähig zu sein, wäre eine andere, eine günstigere Beziehungskultur für die Entfaltung der in ihren Bürgern angelegten Potenziale und der in der Kommune vorhandenen Möglichkeiten. Eine Kultur, in der jeder Einzelne spürt, dass er gebraucht wird, dass er einen für das Zusammenleben in der Kommune wichtigen Beitrag leisten kann. Eine, in der sich alle miteinander verbunden fühlen, voneinander lernen, miteinander wachsen und ihre Potenziale entfalten können.

Rahmenbedingungen schaffen

Und weshalb gelingt das in unseren heutigen Städten und Gemeinden so schwer? Weil so viele Bürger in der Vergangenheit zu viele ungünstige Erfahrungen im Umgang miteinander gemacht haben. Und die haben Spuren in ihren Gehirnen hinterlassen, sind zu festen Überzeugungen, Einstellungen und Haltungen geworden, die nun ihr Verhalten im Umgang miteinander bestimmen.

Auflösen lassen sich die daraus entstandenen ungünstigen Haltungen nur durch neue, günstigere Erfahrungen in der Begegnung mit Nachbarn und Mitbürgern. Aber die kann man nicht erzwingen, auch nicht unterrichten. Um diese einmal entstandenen und vor allem in Dörfern oft über Generationen weitergegebenen inneren Einstellungen zu verändern, müssten die Menschen neue, günstigere Erfahrungen miteinander machen. Und dazu kann man Mitbürger nur einladen, ermutigen und inspirieren. Verwaltungsbeamte und Bürgermeister schaffen das nur selten. So etwas lässt sich nicht anordnen. Aber sogar Verwaltungsbeamte und erst recht die Bürger selbst können Rahmenbedingungen schaffen, die es sehr wahrscheinlich machen, dass solche Erfahrungen beglückenden Miteinanders von den Menschen wieder gemacht werden.

 Bürger als gestaltende Subjekte

Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass niemand in einer Stadt oder einer Gemeinde die Erfahrung machen muss, dass sie oder er zum Objekt der Interessen und Absichten, der Erwartungen und Belehrungen, der Bewertungen und Maßnahmen anderer gemacht wird. Dass die Bürger sich wieder als gestaltende Subjekte erleben dürfen und nicht als verwaltete Objekte. Nur dann kann das Wunder geschehen, das eine Gemeinde oder einen Stadtteil wieder lebendig macht. Dass die Bürger nicht länger aneinander vorbeileben oder gar gegeneinander zu Felde ziehen, sondern ein gemeinsames Anliegen verfolgen, das sie alle miteinander verbindet und die bis dahin entstandenen unterschiedlichen Interessengruppen wieder zusammenführt.

Solange die Bürger einer Gemeinde oder einer Stadt sich gegenseitig als Objekte zur Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen benutzen, ist die Entfaltung der in jedem Einzelnen und in der Gemeinschaft verborgenen Potenziale unmöglich. Sobald diese Bürger beginnen, einander als Subjekte zu begegnen, voneinander zu lernen und mitei­nander ihre Städte und Gemeinden zu gestalten, ist die Entfaltung der in allen daran beteiligten Bürgern und ihrer Gemeinschaft angelegten Potenziale unvermeidbar. Mit einem Gehirn, in dem jede Nervenzelle und jede Region ihre Interessen auf Kosten anderer zu verwirklichen versucht, würden wir keinen einzigen Tag überleben.

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