"Ich habe kein Problem, die israelische Politik zu kritisieren"

Foto: Picturedesk

Versteckter Antisemitismus wird heutzutage hinter jeder Ecke vermutet und als Pranger verwendet. Ein falsches Wort zur falschen Zeit, schon ist man braun punziert. Fälschlicherweise. Die Menschen sind nervös, wenn das Thema angesprochen wird. alles roger? bat Willi Mernyi, den Vor-sitzenden des Mauthausen Komitees, zum Gespräch über Schuld, Sühne und den Umgang mit der Vergangenheit.

Interview: Thomas Köpf und Roland Hofbauer

Wo beginnt Antisemitismus, ab wann ist man nicht mehr kritisch sondern feindlich gegenüber der jüdischen Kultur?

Zu Antisemitismus wird es dann, wenn aus Einzelfällen auf ein ganzes Volk geschlossen wird. Die Juden sind … Die Juden waren immer schon …

Darf man eine Familie Rothschild generell nicht kritisieren, und warum wird man bei kritischen Worten schnell als tendenziell antisemitisch eingestuft?

Die Rothschilds sind ja keine Organisation, sondern ist es ein häufiger Familienname.

Weltweit wird ja oft eine kleine Gruppe jüdischer Organisationen wie die Rothschilds, die Bilderberger oder auch das Verhalten der israelischen Armee kritisiert. Warum wird das sofort als Anfeindung gegen das jüdische Volk generell gewertet?

Ich persönlich habe kein Problem, die israelische Armee oder die israelische Politik zu kritisieren. Das hat auch gar nichts mit Antisemitismus zu tun.

Wird der Ausdruck „antisemitisch“ teilweise inflationär gebraucht und als generelle Verteidigung auch bei gerechtfertigter Kritik benützt?

Ich weiß nicht, ob der Ausdruck antisemitisch inflationär gebraucht wird. Ich verwende ihn sehr, sehr vorsichtig, weil ich glaube, dass ein inflationärer Gebrauch dieses Wortes ihn nur abschwächen würde.

Der Zentralrat der Juden hat vor einiger Zeit die deutsche Nationalmannschaft kritisiert, da sie nur mit wenigen Spielern bei einem Auswärtsmatch die Gendenkstätte von Auschwitz besucht hat. Müssen sich heutige Generationen noch immer für die Gräueltaten ihrer Vorfahren schuldig fühlen? Oder geht es hier um Aufklärung und Ermahnung von jungen Menschen? Oder kann man gar den Holocaust auch als Erbsünde betrachten?

Es geht nicht um Schuld. Es gibt auch keine Holocausterbsünde. Es gibt nur eine spezielle Verantwortung für Österreich und Deutschland, die den größten Krieg der Menschheitsgeschichte begonnen haben. Aber weder die Söhne noch die Enkel von Tätern tragen hier eine Schuld. Es gibt keine kollektive Schuld eines ganzes Landes, sondern eben nur eine besondere Sensibilität im Umgang mit der Geschichte. Adolf Hitler wurde ja schließlich nicht irgendwo, sondern in Österreich, geboren.

Darf man diese Sache auch einmal ruhen lassen?

Mir geht es auch nicht darum, die schlimme Vergangenheit einmal ruhen zu lassen, sondern es geht mir ausschließlich um die Frage: Was können wir aus der Vergangenheit lernen, und welche Fehler brauchen wir nicht noch einmal zu machen? Was hat uns der Nationalsozialismus gezeigt? Wie hat er funktioniert? Wie wurden aus normalen Menschen Bestien? Das sind doch Fragen, die uns beschäftigen sollten. Einerseits, um die Vergangenheit zu verstehen, aber andererseits auch, um für die Zukunft zu lernen.

Welche Phrasen und Wörter darf man Ihrer Meinung nach nicht mehr sagen oder schreiben und warum?

Betreffend Ihrer Phrasen und Wörter, die man meiner Meinung nach nicht mehr sagen oder schreiben darf, würde ich diese Frage anders stellen.

Im Wissen dessen, was das Wort: „... bis zur Vergasung“ bedeutet, verstehen Sie sicherlich, dass ich diese Worte wohl nicht verwende. Höre ich irgendjemanden, der diese Wortwahl verwendet, weise ich ihn weder zurecht, noch kritisiere ich ihn, sondern erkläre diesen Personen, woher dieser Ausdruck kommt und wer ihn warum erfunden hat.

Ich kann Ihnen versichern, dass ich bisher noch nie Menschen kennengelernt habe, die nach dieser Erklärung nicht sofort sagen „Das habe ich nicht gewusst! Das war mir nicht bekannt! Ich werde es nicht mehr verwenden!“. Um nichts anderes geht es. Nicht um Menschen zu verurteilen, sondern ihnen zu erzählen, woher etwas kommt und wa-rum es wer damals so genannt hat. Wenn es jemand trotzdem verwendet – absichtlich, weil er die Herkunft kennt – dann können Sie bestimmt verstehen, dass ich das nicht akzeptieren kann.

Die AUA musste einmal eine Werbekampagne vor dem Erscheinen einstellen, weil sie „Jedem das Seine“ als Slogan verwenden wollte. Viele Menschen kennen die Herkunft des Begriffs nicht, suum cuique, ein Gerechtigkeitsprinzip aus der Antike. Darf man Ihrer Meinung nach „Jedem das Seine“ verwenden?

Auch halte ich den Begriff Jedem das Seine oder Arbeit macht frei für einen von den Nazis konnotierten Begriff, der sich in meinem Wortschatz ebenfalls nicht findet.

Natürlich weiß ich, dass das Gerechtigkeitsprinzip aus der Antike stammt, aber das Hakenkreuz haben auch schon indische Völker verwendet. Aber diejenigen, die heute grölend mit einer Hakenkreuzfahne am 20. April das Fest des Führers feiern, meinen wohl keinen indischen Gott, oder?

Mit welchen Menschen würden Sie sich nie an einen Tisch setzen?

Prinzipiell setze ich mich mit jedem Menschen an einen Tisch und führe die Diskussion. Wenn ich allerdings merke, dass es keinen Sinn macht, weil es nur um hasserfüllte Parolen geht, weiß ich, dass ich meine Energie und meine Argumente woanders besser einsetzen kann.

Unterstützen Sie unsere Arbeit, indem Sie sich über folgendes Partnerangebot informieren.
Durch unsere Vermittlung erhalten wir eine Provision:

alles roger? alles gratis!

Jetzt bestellen und nur das Porto zahlen

Bestellen Sie alles roger? für ein Jahr und Sie bekommen das schrägste Magazin Österreichs gratis nach Hause geliefert. Sie bezahlen nur das Porto (1€). Bestellen Sie mittels Online-Formular bequem von Ihrem Computer aus.


Aktuelle Ausgabe



Klicken zum vergrößern

Ausgabe August 2016

» Jetzt abonnieren
Zum Selbstkostenpreis von 1€ Porto pro Monat!




Tipp der Redaktion