Der Westen zittert vor Russlands selbstbestimmter Außenpolitik. In Syrien ermöglichten russische Bomber den Sieg über die Truppen des IS in Aleppo. Jenseits des Atlantiks spekuliert man darüber, ob erst das Eingreifen russischer Hacker auf Geheiß Putins den Wahlsieg Trumps ermöglicht hat. Russland ist nach Jahren als ?Regionalmacht? wieder eine der wesentlichen Mächte in der Weltpolitik. Viele Menschen beginnen sich zu fragen: Welche Ideen stecken eigentlich hinter der aktuellen Außenpolitik Russlands?
Wir befinden uns in einem Moskauer Fernsehstudio. Wir sehen Szenen von marschierenden Soldaten, dann eine Atombombenexplosion. Schnitt. Plötzlich taucht ein 55-jähriger Mann auf. Er trägt Anzug und fixiert den Seher mit seinem durchdringenden Blick. Sein langer weißer Bart erinnert einen sofort an Rasputin. "Der globalistische Sumpf muss ausgetrocknet werden", dröhnt es einem entgegen. Es ist niemand Geringerer als Alexander Dugin, der von westlichen Medien gerne als "Putins Hirn" betitelt wird.
Dugin vertritt dabei keine Minderheitenpositionen, sondern den neuen Mainstream des russischen Geisteslebens. Egal ob im Radio oder eben auf dem Kanal des populären russischen Senders Tsaragrad-TV: Der Philosoph und ehemalige Universitätsprofessor ist in Russland allgegenwärtig. Auch in Armeekreisen ist Dugin enorm einflussreich: Sein Buch "Grundlagen der Geopolitik" ist fixer Bestandteil in den Ausbildungskursen des Generalstabes.
Der Weg des russischen Denkers war von Anfang an steinig: In der Sowjetunion war er geächteter Dissident und Teil von okkulten Zirkeln, während der Ära Jelzin war er einer der führenden Ideologen der nationalistisch gewordenen Kommunistischen Partei Russlands - nach dem Zerfall der Sowjetunion, welcher in Russland als die "größte geopolitische Katastrophe des
20. Jahrhunderts" angesehen wird und den turbulenten 90er-Jahren.
Doch worin besteht eigentlich das Gedankengebäude Dugins? In seinem Buch "Konflikte der Zukunft", das 2015 erschien, legt der russische Philosoph die Grundlagen einer multipolaren Welt dar. Darunter versteht der Russe eine Weltordnung, die nicht alleine von den USA und ihren Umsturzversuchen und Angriffskriegen dominiert wird. An die Stelle der einzigen Weltmacht USA sollen mehrere Mächte treten, die jeweils einzelne Einflusssphären auf der Welt kontrollieren, die deckungsgleich mit der Ausdehnung ihrer Kultur und Lebensart sind.
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Europa den Europäern, Amerika den Amerikanern, China den Chinesen - und die russische Welt den Russen. In Dugins multipolarer Welt geht die Souveränität vom einzelnen Nationalstaat auf den Kulturkreis, also die Zivilisation über. Statt Stellvertreterkriegen wie in Syrien sollen die in (kontinentalen) Großräumen organisierten Mächte für Sicherheit im eignen Haus sorgen - und den Allmachtsphantasien des Westens den Mittelfinger zeigen. Betrachtet man die russischen Interventionen seit dem Georgienkrieg, könnte man meinen, dass die Außenpolitik Wladimir Putins nach dem Drehbuch Alexander Dugins gestaltet wurde: Auch die russische Intervention im Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat folgt den Gedankengängen des russischen Philosophen.
Die Vision Alexander Dugins erstreckt sich dabei nicht nur auf die Geopolitik, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes: In seinem Buch The Fourth Political Theory fordert der Russe die Überwindung der Moderne und ihrer drei Ideologien Faschismus, Kommunismus und Liberalismus. An ihre Stelle soll eine vierte politische Theorie treten, welche die Menschen wieder ihrem eigenen Dasein nach Martin Heidegger nahebringen soll, womit die althergebrachten Traditionen, Religionen, natürlich gewachsenen Völker, Bräuche und Traditionen gemeint sind.
Alexander Dugin ist selbst ein tiefgläubiger orthodoxer Christ und lebt auch das, was er denkt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist für ihn nicht nur eine Politikerin, die Europa zugrunde richtet, sondern ein Teil des "Sumpfes". Darunter versteht er all jene Politiker, die die Globalisierung vorantreiben. Masseneinwanderung, Islamisierung und Terror sind für ihn kein Zufall, sondern Teil eines globalen Plans zur Entrechtung der Völker.
2015 veranstaltete die FPÖ gemeinsam mit dem "Rasputin Putins" eine Konferenz in Wien. Auch in Kreisen des Front National wird er rezipiert, Donald Trumps Wahlsieg feierte er und erklärte den Antiamerikanismus für tot. Egal was man von ihm halten mag - sein Denken wird in den kommenden Jahrzehnten nicht nur Russland, sondern auch Europa prägen.