Seit November 2018 halten die Gelbwesten-Proteste Frankreich und die Regierung Macron in Atem. Die samstäglichen Proteste sind das Ergebnis von jahrzehntelangen politischen Fehlentwicklungen. Der Zorn richtet sich auch gegen die EU. Musikprofessorin und Aktionistin Eva, eine in Frankreich lebende Österreicherin, gab alles roger? ein Interview, in dem sie erklärt, wie sich die Franzosen gegen eine Politik wehren, die dem Globalisierungswahn frönt und sich um die eigene Bevölkerung nicht schert. Kein Einzelfall in der EU.
Von Markus M. Goritschnig
Sie leben als Professorin für Musik schon lange in Frankreich. Was hat Sie bewogen, bei den Protesten der "Gilets Jaunes", der "Gelbwesten" mitzumachen?
Seit Jahren sieht die Mittelschicht Frankreichs zu, wie sich ihre Lebensbedingungen verschlechtern und ihre Kaufkraft dramatisch sinkt. Die Wirtschaftskrise 2008 war ein Wendepunkt, seitdem geht es einer großen Masse an Menschen fühlbar schlechter. Die Bewegung, oder besser der Aufstand der "Gelbwesten", gibt diesen Menschen zum ersten Mal eine Stimme, ein Profil, eine Ausdrucksmöglichkeit. Ich bin als Musikprofessorin zwar nicht am schlimmsten betroffen, doch muss ich ohne Wahlrecht zusehen, wie das Land, in dem ich lebe, arbeite und Steuern zahle, heruntergewirtschaftet und an multinationale Konzerne und an die EU verkauft wird. Das Volk und das Land interessieren diese Regierung dabei keineswegs.
Was war der Auslöser der Gelbwesten-Bewegung?
Der Protest begann Mitte November als Reaktion auf eine weitere, massive Erhöhung des Dieselpreises. Präsident Macron wollte dem Volk einreden, dass es "aktiv" zu einer notwendigen neuen Umweltpolitik beitragen müsste. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Viele mussten wegen horrender Immobilienpreise aufs Land ziehen, wo man unbedingt ein Auto braucht - und dann sollten sie sich plötzlich ein neues Benzin- oder Elektro-Auto kaufen. Da ging es nur um die Automobilindustrie!
Wie hat die Regierung reagiert?
Zuerst ging Macron auf Tauchstation und reagierte mit Arroganz. Die Leute wurden schnell wütend. Die Aufstände wurden heftiger, im selben Maße wie die polizeiliche Gewalt um die Aufstände zu unterdrücken. Schnell gab es viele Verletzte auf beiden Seiten. Anstatt den Forderungen der Gelbwesten entgegenzukommen, oder seitens der Regierung auch nur auf das kleinste Privileg zu verzichten, ließ Macron zur Ablenkung, über wohlgesonnene Bürgermeister "nationale Bürgerdebatten" starten. Nichts als eine gratis Werbekampagne für Macron vor den Europawahlen, vom Steuergeld bezahlt.
Was sind die wichtigsten Anliegen?
Ganz oben steht die Einführung von Bürger-Referenden in allen Belangen: Mehr direkte Demokratie, um zu vermeiden, dass Entscheidungen über die Köpfe der Bevölkerung hinweg getroffen werden. Weiters fordern sie die Abschaffung der kostenaufwendigsten Privilegien der politischen Klasse und ein gerechteres Steuersystem: Weitgehende Steuersenkungen, für Bürger und den Einzelhandel, andererseits Maßnahmen gegen Steuerflucht von multinationalen Konzernen. Außerdem wird die Erhöhung des Mindestlohns und der Pensionen gefordert.
Sind die Gelbwesten Globalisierungskritiker?
Sie sind Globalisierungsgegner! Es sind all jene, die durch die Globalisierung und den Turbo-Kapitalismus nur verloren haben. Die EU wird heftigst kritisiert und viele wollen einen Austritt. Es geht um mehr Schutz für einheimische Produktion und Arbeit. Gleich am Anfang der Proteste hat Macron auch ohne nennenswerte Diskussion den UN-Migrationspakt unterschrieben, bei dem es nicht zuletzt um billige Arbeitskräfte geht. Die Bewegung hat ihm das sehr übel genommen.
Wer führt die Gelbwesten an, und gibt es Unterstützung durch die Politik?
Die Gelbwesten wollen radikal unabhängig bleiben und wehren sich gegen jede politische Vereinnahmung. Unterstützung durch Parteien kommt aber von der populistischen linken "La France insoumise" unter Mélanchon, von Marine Le Pen und François Asselinau, einem Frexit-Vertreter der ersten Stunde. (Mehrere Gelbwesten möchten eine Liste bei den Europawahlen stellen und haben sich damit scharfe Kritik im eigenen Lager eingeholt. Man wird sie vermutlich zwingen, die gelbe Weste abzulegen, wenn sie in die Politik gehen wollen. Gleichzeitig macht es diese Haltung freilich schwierig, sich zu organisieren. Anm.d.Red.)
Gibt es auch "Schwarze Schafe" unter den Demonstranten?
Die allermeisten sind pazifistisch. Die Demos sind aber schnell infiltriert worden durch extreme linke und rechte Außenseiter. In Frankreich ist es üblich, dass sich bei Demos sogenannte "Casseurs" ("Zerhauer") in die Masse mischen, um wahllos zu beschädigen und zu raufen: Junge aus den Banlieues, anarchistische Radikale, extreme Rechte - aber auch durch die Polizeigewalt wütend gemachte Gelbwesten. Angeblich spielen sogar Polizisten die "Agents Provocateurs".
Wie gefährlich ist es, dort zu demonstrieren?
Ich war selber dabei, als einem friedlichen Demonstranten mit einem Gummigeschoss ein Auge ausgeschossen wurde, ein anderer verlor seine Hand durch eine Tränengas-Granate. Mittlerweile gibt es rund 2.000 verletzte Gelbwesten, darunter welche mit lebenslänglichen Behinderungen. Es traf friedliche Frauen mit Kindern und ältere Herrschaften. Die immer wieder eskalierende Polizeigewalt scheint Strategie zu sein: Laut freier Presse und Polizeisyndikat VIGI hatte die Polizei von ministerieller Seite aus freie Bahn für den Auftrag, alles zu "säubern". Ein paar selbsternannte Cowboys halten das wohl für ein tolles Spiel.
Man versucht, die Proteste gewaltsam zu unterdrücken?
Die Regierung will mit allen Mitteln verhindern, dass die Gelbwesten-Bewegung fortbesteht und in Europa um sich greift. Daher geht sie so streng vor. Neue Gesetze wurden erlassen, man darf nun zum Beispiel präventiv VOR einer Demonstration in U-Haft genommen werden, partielle Vermummung wie Schals und Schutzbrillen wurden bei Strafe verboten.
Wie schützt man sich dann?
Da ist ja das Problem! Man darf sich legal gar nicht schützen! Hunderte Gelbwesten wurden mit Schutzbrillen und -masken sowie mit Radhelmen im Vorfeld verhaftet, mit fadenscheinigen Motiven. Dabei wurden die Tränengasattacken immer heftiger. Eine Tränengas-Granate enthält bis zu 25g TNT! Und die Fotos der verlorenen Augen machen nicht gerade Lust, ohne Skibrille oder Helm auf die Demo zu gehen. Auch unter den Polizisten gibt es Verletzte. Allerdings sind diese voll ausgerüstet und gut geschützt, da passiert viel weniger.
Gibt es Vertuschung und Fake News?
Vertuschung nicht wirklich, denn alles kommt schnell ans Tageslicht. Es gibt viel Live-Videomaterial. Aber die Regierung versucht, über Massenmedien Meinungsbildung zu betreiben und die Bewegung zu kriminalisieren. Jeden Samstag gibt es den ganzen Tag über Bilder von Gewaltszenen, während zehn- und hunderttausende im restlichen Land friedlich demonstrieren. Der unabhängige Medienrat hat sogar die Medien zu objektiver Berichterstattung aufrufen müssen! Den Leuten wird Angst gemacht, damit sie sich nicht mehr zu den Demos trauen. Andererseits gibt es Prominente, die ihnen Mut machen.
Könnten sich die Gelbwesten-Proteste auch auf andere Staaten ausweiten?
Das hängt bestimmt von den jeweiligen Bedingungen ab. In Deutschland vielleicht? Es gab ja in einigen Ländern schon Nachahmer, ob es die gleichen Motive sind, ist schwer zu sagen.
Was möchten Sie uns sonst noch ausrichten?
Vieles an der hochgelobten EU hat in die Sackgasse geführt. Auf die gegenwärtige deutsch-französische Achse würde ich mich schon gar nicht verlassen. Die Menschen denken jetzt selber nach - über die Desinformation, der wir ausgesetzt sind - dadurch kommt vieles ans Tageslicht. AUS für postkoloniale Ausbeutung ohne Grenzen und Umweltschändung ohne Einbeziehung der örtlichen Völker, hier wie dort. Das sollte auch die Migration eindämmen. Ich wünsche mir gut funktionierende, sozial faire, wirklich demokratische und souveräne Nationalstaaten in Europa. Lokal vor global! Die verantwortlichen globalistischen EU-Politiker dieser falschen "Mitte"-Parteien werden hoffentlich abgewählt bei der EU-Wahl!