CETA ist eine Gefahr - Ressourcenökonom Heinrich Wohlmeyer

Foto: © Furfur / CC BY-SA 4.0
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Heinrich Wohlmeyer ist einer der profundesten Kenner internationaler Handelspolitik. Er war als Industrie- und Forschungsmanager sowie Regionalentwickler tätig, ist Buchautor und war immer über Parteigrenzen hinaus anerkannt. Zuletzt engagierte er sich für das EU-Austritts-Volksbegehren und unterstützte Norbert Hofer im Bundespräsidenten-Wahlkampf. Im Interview mit alles roger? über das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA warnt er vor schwerwiegenden Folgen, kritisiert die EU-Kommission, die FPÖ und appelliert an die Abgeordneten, im Juni nach ihrem Gewissen und nicht nach Parteiräson abzustimmen.


Interview: Klaus Faißner

Seit wann beschäftigen Sie sich mit CETA und den anderen "neuen" Freihandelsabkommen?

Ich beschäftige mich seit meiner Tätigkeit in der Regionalpolitik mit Handelspolitik, also seit Jahrzehnten. Wir führten damals auch Gesetze ein, die fairen Handel garantierten. Wenn andere Staaten Produktionsbedingungen haben, die unterschiedlich zu unseren sind, kann das nur zu Nachteilen für die heimische Wirtschaft führen. Ich habe meine Doktorarbeit in London über internationale Handelsabkommen geschrieben und bin wohl einer der wenigen in Österreich, die Handelsabkommen wie jenes der EFTA, der WTO oder auch CETA genau gelesen haben.

Warum sind Sie gegen die Unterzeichnung, welche Auswirkungen sind zu erwarten?

Es handelt sich um eine Nebenrechtsordnung mit sage und schreibe 1.598 Seiten. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz sagte, dass solche Abkommen mehr Rechtsunsicherheit als vorher bringen werden, weil sie das Arbeitsgebiet der großen internationalen Rechtsanwaltskanzleien sind und eine parallele Rechtsordnung darstellen, die es in Europa in der Form bisher nicht gegeben hat. Es ist eine Rechtsordnung des Misstrauens. Eine Auswirkung des CETA-Abkommens ist das Einfrieren der gegenwärtigen Finanzordnung, die große Probleme schafft. Österreich könnte zum Beispiel kein Vollgeld einführen, auch wenn es das wollte. Die Schiedsgerichtsbarkeit kommt zwar in gemilderter Form, sie ist aber eine übergeordnete Gerichtsbarkeit, die verbindlich ist und die von den großen Interessensvertretern der Großindustrie beschickt wird. Zentral geht es um die Ertragsvorschauen der Großunternehmen für die nächsten 30 oder 40 Jahre. Man bedenke: Wer kann sein eigenes Einkommen auf 40 Jahre im Vorhinein planen? Änderungen der nationalen Regelungen, zum Beispiel bei Sozial- oder Umweltgesetzen werden dann dafür verantwortlich gemacht, wenn die Gewinne sinken, und vor den Schiedsgerichten eingeklagt. Die Konzerne haben Klagsrechte gegenüber den Staaten, aber es gibt nicht solche der Staaten und der Bürger gegen die Konzerne. Das ist übergestülpte Einseitigkeit.

Man bräuchte diese Abkommen also nicht?

Die derzeit gültigen Regeln der Welthandelsorganisation WTO müssten genügen, um fairen Handel sicherzustellen. Zusätzlich gibt es Sonderabkommen, die weiter existieren. Die EU schreibt bei der Rechtfertigung des Abkommens, dass das Abkommen mit Singapur ohne Wirbel durchgegangen ist, es dort auch eine Schiedsgerichtsbarkeit gibt und dies daher ein Präzedenzfall sei, auf den man sich berufen kann. Laut EU-Kommission fällt nicht nur die gemeinsame Handelspolitik in die ausschließliche Kompetenz der EU, sondern alle anderen Materien des Vertrags auch. Das widerspricht den Lissabonner Verträgen, ist also Rechtsbruch. Auch ist in CETA festgehalten, dass der elektronische Handel abgabenfrei sein muss. Eine Internetabgabe wäre daher nicht zulässig - auch keine moderate. Dabei wäre das eine der größten Einnahmequellen, mit der man in Österreich bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr he-reinspielen könnte.

Inwieweit wäre die österreichische Landwirtschaft betroffen?

Bei zwei Ökonomien mit demselben Entwicklungsstandard kann die Freigabe der Konkurrenz nur Folgen am preislichen Sektor haben. In der Landwirtschaft haben großflächige Produzenten in Kanada Vorteile gegenüber unseren kleinen Bauern. Es besteht die Gefahr, dass die heimische Versorgungs- und Krisensicherheit fällt und unter Umständen sogar, dass die derzeitigen Ausgleichszahlungen für heimische Landwirte als wettbewerbswidrig gestrichen werden.

Wie sehen Sie den Schwenk der FPÖ, nun CETA zuzustimmen und keine Volksabstimmung zu verlangen?

Dass der Weg zum Futtertrog attraktiver ist als die Einhaltung von Prinzipien. Die FPÖ hat damit Wahlversprechen gebrochen. Der Leitantrag für den Ausbau der direkten Demokratie wurde am Parteitag im März 2017 in Klagenfurt mit 100 Prozent der Stimmen angenommen. Generell stellt sich dadurch auch die Frage, wie vertrauenswürdig Aussagen in der Politik überhaupt sind.

Stimmt es, dass dem Abkommen die Giftzähne gezogen wurden, wie die FPÖ behauptet?

Bei der Schiedsgerichtbarkeit entsteht wie gesagt eine übergeordnete Rechtsordnung, in der Beschlüsse gegen den Willen der Volksvertreter erzwungen werden können. Man weiß nicht, wer schließlich im Tribunal sitzt. Man müsste die Auswahl der Schiedsrichter genau festlegen. Es müssten beamtete Richter sowie juristisch gebildete Vertreter der Konsumenten und Gewerkschaften neben den Industrievertretern bestellt werden. Vor allem im Agrarbereich wird es sehr schwierig. Wir werden uns mit unseren kleinen Mengen - im Verhältnis zu Kanada - kaum die Marketingkosten leisten können, um in Kanada Fuß zu fassen. Umgekehrt tun sich kanadische Landwirte mit ihren großen, kostengünstigen Mengen bei uns erheblich leichter. Es besteht auch die Gefahr, dass die USA ohne das TTIP über Kanada Exporte von Fertigprodukten abwickeln, indem man dort Ursprung begründet.

Wie beurteilen Sie die Kritik der SPÖ, die jetzt auf einmal so tut, als ob sie gegen CETA wäre?

Die SPÖ ist im oppositionellen Denken angekommen. Aber es ist bekannt, dass Christian Kern als Bundeskanzler in Brüssel das vorläufige Inkrafttreten von CETA mitbeschlossen hat - entgegen dem Umfrageergebnis der eigenen Parteimitglieder.

Wie weitreichend ist CETA und sind andere ähnliche Abkommen für die Zukunft Österreichs?

Die Zukunft müsste ein ausgewogenes multilaterales Handelssystem sein, bei dem wir bei Export und Import offen sind für alle Staaten - aber mit klaren Regeln. Es müsste das Bestimmungslandprinzip gelten: Wer zu uns exportieren will, muss vergleichbare Umwelt- und Sozialbestimmungen einhalten. Wenn das - so wie derzeit der Fall oder gar bei CETA - nicht gegeben ist, dann muss man entweder die Standards senken oder die Produktion aufgeben. In Österreich gibt es so gut wie keine Textil- oder Schuhproduktion mehr. Inzwischen lassen in fast allen Branchen die internationalen Marken in China produzieren, wo der Arbeiter nur sehr wenig bekommt. Man müsste an neue Abkommen mit einer geistigen Landkarte des Neudurchdenkens herangehen. Die EU ging mit der geistigen Landkarte des klassischen Neoliberalismus an CETA & Co. heran. Wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr aufgeht, wird es zum Aufstand des Volkes kommen. Der schweizerische Militärhistoriker Daniele Ganser hat gesagt, dass es eine zu wenig eingesetzte Großmacht gibt und die ist die öffentliche Meinung. Die einzige Chance für ein Umdenken der "Oberen" ist, die Bürger aufzuklären und diese öffentliche Meinung zu verbreiten; denn auf Dauer können die "Eliten" nicht gegen aufgeklärte Bürger und Bürgerinnen regieren.

Was sollen die Menschen tun, bis es im Juni zur Abstimmung im Nationalrat kommt?

Man muss allen Abgeordneten ihre Verantwortung vor Augen führen. Sie sollen, wie es im Gesetz steht, ihr freies Mandat ausüben. Ich würde jedem Abgeordneten raten, sich den ganzen Text durchzulesen. Wenn er sich nicht dazu in der Lage fühlt, dann soll er sich von unabhängigen Experten beraten lassen. Eine mutige Rechtsanwältin aus Wien, Frau Eva Maria Barki, hat bereits einen aufklärenden Brief an die 183 Abgeordneten zum Nationalrat versendet.

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