Wissen ist Macht. Konzerne sammeln Daten über alle Menschen. Jeder Einkauf im Supermarkt wird registriert, jeder Mausklick im Internet analysiert, jede Bewegung auf der Straße mit dem Smartphone verfolgt. Die Wahrscheinlichkeit bestimmt die Wirklichkeit. Elektronische Verhaltensforschung hinter verschlossenen Türen ist gang und gäbe, hat sogar den US-Wahlkampf entschieden. Eine Agentur steckt dahinter.
Text: Lauren Seywald
Ein "Gefällt mir" erscheint so harmlos. Beim Durchscrollen des Newsfeed schnell gegeben. Auf Googlemail rasch eine Nachricht verschickt. Auf Amazon ein neues Buch bestellt. Auf dem iPhone flott den nächsten Treffpunkt lokalisiert. Im Supermarkt ein paar Freunde-Punkte für den Wocheneinkauf gesammelt. Bezahlt mit der Bankomatkarte. Der normale Alltag. Nebenbei ausgeführt. Ohne viel nachzudenken. Doch jeder Klick, jeglicher Einkauf - ob online oder im real life - sind Dol-larzeichen in den Augen der Großkonzerne. Seit Jahrzehnten sammeln sie die Daten ihrer Kunden. Jeder für sich. Wissen ist Macht. Mittlerweile spricht man offen von Big Data und Data-Mining. Denn ein "Gefällt mir" steht nicht nur für das Gefallen eines Beitrags. Es steht für ein gesamtes Persönlichkeitsprofil. Diese Informationen über User und Kunden sind der größte Schatz eines Unternehmens. Jede Zielgruppe, jede Person ist ein Karteikärtchen, das in Summe Millionen wert ist.
"Was interessiert mich das? Ich habe nichts zu verbergen." Der Standard-Gedanke von Otto Nomalverbraucher. Dass Google und Facebook Daten sammeln, ist auch nicht mehr ganz neu. Aber das ist bloß die Spitze des Eisbergs. Bei den US-Wahlen erfuhren die Bürger nun am eigenen Leib, welche Ausmaße das annehmen kann. Wähler, die noch von keinem Kandidaten überzeugt waren, hat man analysiert und kategorisiert. So schnitt man die Kommunikationsstrategie auf jede Person individuell zu. Mit Erfolg, wie man sieht. Donald Trump hat das Cambridge Analytica zu verdanken. Zumindest was die Datenanalyse betrifft. Natürlich haben auch andere Faktoren zum Wahlsieg verholfen, nicht nur die Frisur.
Cambridge Analytica wurde zuvor vom Präsidentschaftskandidaten Ted Cruz engagiert. Als er das Rennen verlor, wurden sie für Trump tätig. Das private Unternehmen wurde 2013 in London gegründet und wird von Robert Mercer finanziert, einem konservativen amerikanischen Hedgefonds-Betreiber. Das Konzept der Firma stützt sich auf den Psychologen und Stanford-Professor Michael Kosinski. Er hat an der Cambridge Universität aus Facebook- und Smartphone-Daten Persönlichkeitsprofile erstellt. So genau, wie es die besten Freunde und die Familie nicht analysieren hätten können.
Profiling nennt sich das. Ein System, das ursprünglich aus der Kriminalpsychologie stammt. Wenn zum Beispiel ein Mord passiert, sammelt die Justiz jegliche Daten über die Tat und probiert, ein Täterprofil zu erstellen. Um die nächsten Schritte des Kriminellen vorherzusagen und ihn so auf frischer Tat zu ertappen. In weiterer Folge versucht man die Person zu klassifizieren, sprich in eine Tätertypologie einzuordnen. Man analysiert die Straftat, die Motivation und Motive dafür, die Art der Ausführung. So existieren dann Kategorien vom Kleinkriminellen bis zum geistig abnormen Rechtsbrecher.
Mittlerweile gibt es auch den stereotypen Terroristen, der aus den arabischen Staaten stammt und Vollbart trägt. Besonders die USA haben sich auf diese Täterprofile eingeschossen. Die Statistik hat gesprochen. So muss sich bald jeder arabische Einwohner mit Vollbart rechtfertigen, kein Terrorist zu sein. Eines der Hauptprobleme des Profilings. Verallgemeinerungen implizieren eine große Fehlerquelle. Doch ist man in einer stereotypen Schublade gefangen, ist es schwer, wieder herauszukommen.
Dieses System des Profilings hat nun weltweit Einzug in den Unternehmen gefunden. Nur dass sie, wie Kommunikations- und Marketingpsychologe Dr. Josef Sawetz erklärt, "die Tat nicht verhindern, sondern den Täter zur Tat - zum Kauf - verführen". Oder eben zur Wahl eines Präsidenten.
Der Handel hat in den vergangenen 20 Jahren die Nähe zum Konsumenten erfolgreich genutzt und Informationen zu jedem einzelnen gesammelt. Heute analysieren "intelligente Database-Agents die gesammelten Scannerdaten aller Kassen einer Handelskette und ziehen daraus ihre Schlüsse zur Optimierung von Sortiment, Platzierung, Aktionsplanung, Kundenführung und zur Entwicklung neuer Handelsmarken", stellt Sawetz klar. Die nett gemeinte Club-Karte, mit der man tolle Treuepunkte und Geburtstagsrabatte beim Einkauf bekommt, dient eigentlich der Datensammlung über den jeweiligen Kunden. Zusätzlich entsteht eine Bindung zwischen Person und Unternehmen. Denn man fühlt sich persönlich betreut. Ist doch schön, wenn man an jeder Kassa ein "Alles Gute zum Geburtstag" hört und minus zehn Prozent auf den nächsten Einkauf bekommt. Es ist ein Tauschgeschäft. Prozente gegen Information. Service gegen Kontrolle.
Nach den Unternehmen kommen nun auch öffentliche Stellen auf den Geschmack. Intelligente Analyseprogramme regulieren da zum Beispiel den Einsatz von Steuerprüfungen. Schön blöd, wenn man sich einen Kredit aufnehmen will und den nicht mehr kriegt, weil die Vergangenheit nicht immer rosig war. Ein sensibles Thema des Datenschutzes. Ein Herantasten an Grenzen der Ethik und des Gesetzes. Der Gesetzgeber ist dabei meist einen Schritt hinten. Denn erst wenn die Grenzen überschritten und erkannt sind, führt man das entsprechende Gesetz ein.
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Dank der Digitalisierung ist die Person nicht nur gläsern, sondern vorhersehbar geworden. Für die Transparenz verspricht man Sicherheit. Die Vorhersage von Taten, von denen man noch nicht weiß. Das Erfüllen von Träumen, die man selbst noch gar nicht kennt.
Hinter jeder Entscheidung, die man im Leben trifft, stehen Sehnsüchte, Träume, Ängste und Hoffnungen. Sie geben Aufschluss über die Psyche einer Person. Es ergibt sich ein Persönlichkeitsprofil. Verglichen mit ähnlichen Profilen lässt sich ein Muster erkennen. Die Art zu leben. Ein vereinfachtes Beispiel: Anhand vieler Daten von Vegetariern lässt sich zum Beispiel die Gesundheit voraussagen - welche gesundheitlichen Mängel entstehen können, wie hoch die Lebenserwartung ist. Der prototypische Vegetarier halt. Profitieren davon tun die Pharmaindustrie, die Versicherungen, der Handel. Kurz: die Wirtschaft. Prototypische Konsumentengruppen zu erstellen spart Zeit und Geld. Ressourcen, die in der heutigen Zeit sehr umkämpft sind.
Andere Beispiele: Der extrovertierte Chef fährt gerne Porsche. Die introvertierte Angestellte fährt lieber einen unscheinbaren Opel. Man vergleicht das spezifische Verhalten, mit dem der anderen extrovertierten Chefs und introvertierten Angestellten. Schaut, wie sie sich in anderen Situationen verhalten. Und kann dadurch auf zukünftige Kaufentscheidungen schließen. Der Porsche-Fahrer springt bei Prestigeprodukten an, um sein Machtmotiv auszuleben. Die Opel-Fahrerin bevorzugt praktische Produkte für die Familie. Zusätzlich weiß man, dass der Chef auf lebendige, unterhaltsame Werbung steht, die aber schnell auf den Punkt kommen muss. Ansonsten entsteht schnell Langeweile. Die Angestellte bevorzugt detaillierte, ruhigere Werbung, die ihr das Gefühl von Sicherheit vermittelt. Der Erste gibt den Ton an, die andere folgt lieber. Vereinfacht gesagt. In der Marketingpsychologie spricht man von Cluster-Bildung, sprich Profiling-Dimensionen prototypischer Konsumenten. Individuelle Persönlichkeitsprofile als Basis zur Erhöhung persuasiver Fitness. (lat. persuadere = "überreden")
Die Wirtschaft. Die Politik. Öffentliche Stellen. Das Ziel jedes Einzelnen ist, möglichst spezifisch auf eine Person einzugehen. Die Werbung so individuell wie möglich zuzuschneiden. Die Person so gut zu kennen, dass man weiß, wie sie anzusprechen ist. Wie man sie für sich
gewinnen kann. Wie man sie an sich bindet. Kurz: Ich sage dir nicht nur, wer du bist,
sondern auch, wer du sein wirst. Und regle dir dein Leben so, wie du es dir gewünscht hast.